Benutzerspezifische Werkzeuge

Familiäres Paragangliom-/Phäochromozytom-Syndrom

Die Hereditären Paragangliome / Phäochromozytome (PGL/PCC) sind seltene neuroendokrine Tumoren, die als Paragangliome in beliebigen Paraganglien zwischen Schädelbasis und Beckenboden und als Phäochromozytome (Nebennierenmark-Paragangliome) in Erscheinung treten. Sie beruhen meist auf genetischen Veränderungen in den Genen der Succinatdehydrogenase (SDHx), des Transmembranproteins 127 (TMEM127) und des MAX-Transkriptionsfaktors (MAX).

Erkrankung

OMIM-PORPHAGenOMIM-GVererbungPrävalenz

 

 

 

 

 

 

Familiäres Paragangliom-/ Phäochromozytom Syndrom

115310

 

 

 

 

 

 

29072

SDHB185470

 

 

 

 

 

 

autosomal dominant

1/500.000 - 1/1.000.000

168000SDHD602690
601650SDHAF2613019
605373SDHC602413
614165SDHA600857
618464SLC25A11604165
618475DLST126063Manifestation

 

 

 

 

171300

LIF1B

SDHB

TMEM127

VH

GDNF

RET

SDHD

MAX

605995

185470

613403

608537

600837

164761

602690

154950

Kindesalter

HINTERGRUNDINFORMATIOPNEN ZUM FAMILIÄREN PARAGANGLIOM-/PHÄOCHROMOZYTOM- SYNDROM

Phäochromozytome (PCC) sind meist gutartige Tumore, die von Zellen des Nebennierenmarks ausgehen. Paragangliome (PGL) wiederum gehen von Ganglienzellen des sympathischen Nervensystems aus und bilden von endokrinen Geweben ausgehende Tumore, die symmetrisch entlang der paravertebralen Achse von der Schädelbasis zum Becken angeordnet sind.

Klinisch fallen Paragangliome des sympatischen Nervensystems durch Sekretion von Adrenalin, Noradrenalin oder Dopamin auf, wodurch es zu Folgesymptomen, wie beispielsweise einem medikamentös nicht therapierbaren Bluthochdruck, kommen kann. Paragangliome des parasympatischen Nervensystems sind hingegen meist nicht-sekretierend. Extra-adrenale parasympatische Paragangliome treten meist an Kopf und Nacken auf und sind in ca. 95% der Fälle nicht-sekretierend. Im Gegensatz dazu sind die auf Thorax, Abdomen und Becken beschränkten sympatischen extra-adrenalen Paragangliome typischerweise sekretierend (wie auch die meisten Phäochromozytome) und mit einem erhöhten Risiko einer malignen Transformation behaftet. 

Es werden 5  Formen des hereditären Paragangliom-Phäochromozytom Syndroms unterschieden, die klinisch jedoch nicht eindeutig abgrenzbar sind:

  • PGL1: SDHD, Chromosom 11q23 
  • PGL 2: SDHAF2, Chromosom 11q12.2 
  • PGL3: SDHC , Chromosom 1q23.3 
  • PGL4: SDHB, Chromosom 1p36.1 
  • PGL5: SDHA, Chromosom 5p15.33 
  • PCC 5: SDHB, SDHDMAX, TMEM127

GENETIK

Etwa 30% aller PGL/PCC sind hereditär und auf eine Keimbahnmutation in den Genen SDHx und MAX zurückzuführen. Die Vererbung folgt einem autosomal dominanten Erbgang. Das Gen SDHD unterliegt zusätzlich einer epigenetischen Prägung (maternales Imprinting), d.h. die Erkrankung kann nur über die väterliche Genkopie weitergegeben werden (bei Mutation auf dem väterlichen SDHD-Allel). Das Risiko, dass die Tumorprädisposition an Nachkommen vererbt wird, liegt bei 50%. Heute kann bei über einem Drittel der Patienten eine prädisponierende Mutation nachgewiesen werden. Aus diesem Grund ist bei allen Betroffenen eine genetische Diagnostik indiziert. Bei Nachweis einer Mutation ist eine engmaschige Nachsorge notwendig und gesunden Angehörigen kann eine prädiktive (vorhersagende) Testung auf die krankheitsverursachende Genveränderung angeboten werden.

Die Gene SDHx kodieren für das Enzym Succinatdehydrogenase (SDH), welches ein Schlüsselenzym des Zitratzyklus (Krebszyklus) und der oxidativen Phosphorylierung (Atmungskette) ist (Abb. 1). Es besteht aus 4 Untereinheiten A-D, die durch die Gene SDHA, SDHB, SDHC und SDHD verschlüsselt werden. Der SDH-Komplex sitzt innerhalb der inneren Mitochondrienmembran und katalysiert die Oxidation von Succinat zu Fumarat. Bei der Oxidation werden zwei Elektronen auf Untereinheit A übertragen, um FAD zu FADH2 zu protonieren und zwei Elektronen an die in Untereinheit B untergebrachten Fe-S-Cluster freizugeben. Die Faktoren SDHAF1 und SDHAF2 unterstützen die Reifung der Untereinheiten A und B. Die nächsten Untereinheiten, C und D, beherbergen Häm und sind für die Reduktion von Ubichinon zu Ubiquinol verantwortlich. Von hier aus wird Ubiquinol in den Komplex III der Atmungskette überführt.

Abbildung 1: Schematische Darstellung der Struktur und Funktion des Succinatdehydrogenase-Komplexes.

 

Die ursächlichen genetischen Veränderungen führen zu einem Funktionsverlust des betroffenen Allels bzw. dessen Proteinprodukts. Erst der Ausfall des zweiten, intakten Allels durch somatische Mutationen kann zur Entartung der betroffenen Zellen führen. Die häufigsten Mutationen werden in den Genen SDHB, SDHC oder SDHD nachgewiesen.  Mutationen in SDHAF2 und MAX werden hingegen nur in etwa 6% der Betroffenen detektiert, die zuvor negativ auf SDHBSDHC und SDHD getestet wurden.

Im Vergleich zu sporadisch auftretenden Paragangliomen und Phäochromozytomen (PGL/PCC) treten die Tumore im Rahmen einer SDHx-Mutation zu einem früheren Zeitpunkt auf, sind eher an mehreren Orten lokalisiert, entwickeln sich beidseitig und neigen zu Rezidiven. Gutartige Paragangliome und Phäochromozytome sind in der Regel langsam wachsend, wohingegen bösartige Tumore meist aggressiver sind. Das größte Krebsrisiko besteht bei Mutationen im SDHB-Gen. Patienten mit dieser genetischen Veränderung weisen eine erhöhte Sterberate auf und haben Paragangliome mit deutlich stärkerer Neigung zur Tumorstreuung (Metastasierung) als Patienten mit anderen SDH-Mutationen.

Basierend auf mRNA-Expressionssignaturen, lassen sich PGL/PCCs in zwei Hauptkategorien unterteilen: Cluster I- und Cluster II-Erkrankungen (Abb. 2). Cluster-I-Erkrankungen weisen metabolische Reprogrammierung und pseudohypoxische Signale auf, die häufig mit Mutationen in sauerstoffempfindlichen Genen verbunden sind oder solchen, die als Schlüsselenzyme des Krebs-Zyklus fungieren, wie VHL, SDHx, HIF2A, EGLN1/2 und FH. Im Gegensatz dazu sind Cluster-II-PCPGs häufig im Zusammenhang mit genetischen Mutationen, die die Kinase-Signalübertragung, Gentranslation, Proteinsynthese und neuronale Differenzierung beeinflussen. Zu den Genen, die Mutationen zeigen, gehören NF1, RET, KIF1Bβ, TMEM127 und MAX.

Abbildung 2: Schematische Darstellung krebsassoziierter Mutationen in PGL und PCC. Cluster-I-PGL/PCCs weisen eine Dysfunktion im Krebs-Zyklus und in Hypoxie-Signalwegen auf. Dabei werden häufig Funktionsverlustmutationen in SDHx, FH, EGLN1 oder VHL identifiziert. HIF2A-Mutationen, die die Hypoxie-Signalgebung aktivieren, werden auch bei der Cluster-I-Krankheit gefunden. Cluster-II-PGL/PCCs weisen eine abnormale Kinaseaktivität auf. Dies wird durch Mutationen wichtiger Regulatoren in der Rückkopplungsschleife verursacht, wie NF1, MAX und TMEM127. Funktionsgewinnmutationen in RET führen durch Initiierung von Kinasewegen wie Ras/MEK und PI3K/Akt zu vermehrter Zellproliferation und Überleben der Zellen.

 

Auch das Risiko für andere Tumorarten kann erhöht sein, da PGL/PCC  auch mit anderen hereditären Tumorsyndromen assoziiert werden und im Rahmen von Neurofibromatose Typ I (NF1), vom von Hippel-Lindau Syndrom (VHL), oder von Multiple endokrine Neoplasien Typ 2 (RET) auftreten können. Ursächliche Varianten in den Genen SDHBSDHC und SDHD können außerdem beim sogenannten Carney-Stratakis-Syndrom (CSS) nachgewiesen werden. CSS ist ein sehr seltenes erbliches Syndrom, das durch den Nachweis von Paragangliomen in Assoziation mit gastrointestinalen Stromatumoren (GIST) charakterisiert ist.

INDIKATION

  • frühes Erkrankungsalter (<40 Jahre)
  • Vorhandensein beidseitiger extra-adrenaler oder multipler Tumoren
  • sichere Diagnose eines Phäochromozytoms
  • Vorhandensein maligner Paragangliome
  • erhöhte Katecholamin-Spiegel im Plasma unklarer Ätiologie
  • positive Familienanamnese

Eine frühzeitige diagnostische Absicherung empfiehlt sich zur Prävention und zur Therapie von betroffenen Genträgern.

VORSORGEPROGRAMM

Derzeit gibt es keine einheitlichen Richtlinien zur Behandlung und Betreuung von Patienten mit familiärem Paragangliom/Phäochromozytom. Vorsorgeuntersuchungen werden Anlageträgern bzw. Risikopersonen ab dem Alter von 10 Jahren bzw. spätestens 10 Jahre vor dem jüngsten Erkrankungsalter in der Familie angeraten, mittels biochemischen Untersuchungen oder bildgebenden Verfahren durchgeführt und sollten möglichst an spezialisierten Zentren erfolgen. Bei nachgewiesener familiärer ursächlicher Variante können sich Blutsverwandte und Risikopersonen im Rahmen einer genetischen Beratung ab 10 Jahren prädiktiv testen lassen.

Da sich Tumore nur selten in der ersten Lebensdekade entwickeln, schlägt die American Association of Cancer Research (AACR) aktuell einen Beginn der Früherkennungsuntersuchungen im Alter von 6-8 Jahren vor. Diese Empfehlungen sind einheitlich und unabhängig von der vorliegenden genetischen Mutation.

  • Blutdruckkontrollen bei jeder ärztlichen Vorstellung (mindestens jährlich) ab 6-8 Jahren
  • Jährlich Methoxytyramin im Plasma ab 6-8 Jahren
  • Jährlich freie Metanephrine im Plasma (PFM) oder fraktionierte Metanephrine im 24-Stunden-Urin ab 6-8 Jahren
        • - wenn PFM ≥4x oberhalb des Referenzwertes: vereinbar mit PGL/PHEO, Bildgebung zur Lokalisation sollte angeschlossen werden
        • - wenn PFM 2x-4x oberhalb des Referenzwertes: Wiederholung der Untersuchung in 2 Monaten
        • - wenn PFM marginal erhöht: Wiederholung der Untersuchung in 6 Monaten (oder Clonidin-Suppressionstest, zum Ausschluss falsch positiver Werte)
  • Optional: jährlich Chromogranin A im Serum ab 6-8 Jahren
  • Alle zwei Jahre Ganzkörper-MRT (Schädelbasis bis Becken) ab 6-8 Jahren
  • Optional: alle zwei Jahre MRT-Hals mit/ohne Kontrastmittel

LITERATUR / LEITFADEN / SELBSTHILFEGRUPPE

 LITERATUR

Pheochromocytomas and Paragangliomas: From Genetic Diversity to Targeted Therapies. Pang Y., Liu Y., Pacak K., Yang C. 2019 Cancers 11, 436; doi:10.3390/cancers11040436

Hereditary Paraganglioma-Pheochromocytoma Syndromes. Else T, Greenberg S, Fishbein L., GeneReviews.

LEITFADEN

European Society for Medical Oncology (ESMO) and European Network for Rare Adult Solid Cancers (EURACAN): Clinical practice guidelines for diagnosis, treatment and follow-up of adrenocortical carcinomas and malignant phaeochromocytomas (2020)

European Society of Hypertension (ESH): A position statement and working consensus on genetics, diagnosis, management and future directions of research of phaeochromocytoma and paraganglioma (2020)

European Association of Nuclear Medicine (EANM)/Society of Nuclear Medicine and Molecular Imaging (SNMMI): Practice guideline/procedure standard for radionuclide imaging of phaeochromocytoma and paraganglioma (2019)

European Society of Endocrinology (ESE): Clinical practice guideline for long-term follow-up of patients operated on for a phaeochromocytoma or a paraganglioma (2016) 

SELBSTHILFEGRUPPEN

Selbsthilfegruppe im deutschsprachigen Raum für Patient*innen mit Nebennierenerkrankungen:

Verein für von der von Hippel-Lindau (VHL) Erkrankung betroffene Familien e.V. (http://www.hippel-lindau.de)

Internationale Liste von Selbsthilfegruppen für Patient*innen mit Nebennierenerkrankungen:

Pheochromocytoma Support Group (http://www.pheochromocytoma.org/)

The Pheo-Para Alliance (https://pheopara.org/)

VHL FamilyAlliance (http://www.vhl.org/)

National Adrenal Diseases Foundation (http://www.nadf.us)

AMEND (http://www.amend.org.uk)

Association Surrénales (http://www.surrenales.com/)

Adrenal Hyperplasia Network (http://www.ahn.org.uk/)

Paradifference  (www.paradifference.org)

Tim Rothwells SDHB PHEOPARA COALITION (http://www.sdhbcoalition.org/)