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Hereditärer Diffuser Magenkrebs (HDGC)

Beim Hereditären diffusen Magenkarzinom (hereditary diffuse gastric cancer; HDGC) handelt es sich um ein seltenes Tumorprädispositionssyndrom (Inzidenz ca. 5-10 pro 100.000), bei dem es gehäuft zum Auftreten von Siegelring-zellkarzinomen des Magens (Frauen ca. 33 bis 56 %, Männer ca. 42 – 70% Lebenszeitrisiko) und lobulärem Brustkrebs bei Frauen (ca. 39 bis 55 % Lebenszeitrisiko) im Mittel in der 5. Lebensdekade kommt. Weiterhin treten in einigen HDGC-Familien vermehrt Lippen-Kiefer-Gaumenspalten bei Neugeborenen auf. Gemäß der aktuellen Leitlinie des International Gastric Cancer Linkage Consortium (IGCLC) wird eine molekulargenetische Untersuchung der Gene CDH1 und CTNNA1 bei Vorliegen eines der folgenden Kriterien empfohlen:

Familienkriterien (betrifft Indexfall und erst- oder zweitgradig Verwandte):

  • mind. 2 Magenkrebsbetroffene unabhängig vom Alter in einer Familie, davon mindestens ein siegelringzelliges Magenkarzinom
  • mind. ein siegelringzelliges Magenkarzinom unabhängig vom Alter und ein lobuläres Mammakarzinom <70 Jahren bei verschiedenen Betroffenen einer Familie
  • mind. 2 lobuläre Mammakarzinome <50 Jahren bei verschiedenen Betroffenen einer Familie

Individualkriterien:

  • siegelringzelliges Magenkarzinom < 50 Jahren
  • siegelringzelliges Magenkarzinom unabhängig vom Alter bei Angehörigen des Māori-Volkes (Neuseeland)
  • siegelringzelliges Magenkarzinom unabhängig vom Alter bei Betroffenen mit LKG-Spalte oder erstgradigen Angehörigen mit LKG-Spalte
  • siegelringzelliges Magenkarzinom und lobuläres Mammakarzinom <70 Jahren bei einer Person
  • beidseitiges lobuläres Mammakarzinom <70 Jahren
  • histologischer Nachweis eines in-situ Siegelringzellkarzinoms oder pagetoider Ausbreitung von Siegelringzellen in einer Magenschleimhautbiopsie

VERERBUNG

HDGC wird durch heterozygote (auf der mütterlichen oder der väterlichen Genkopie vorliegende) krankheitsverursachende Veränderungen (Mutationen) im CDH1-Gen (sehr selten auch im CTNNA1-Gen) ausgelöst. In den meisten Fällen wurde die Genveränderung von einem Elternteil geerbt, kann jedoch auch neu entstanden (de novo) sein.

Das CDH1-Gen kodiert für das Protein E-Cadherin, dessen Genprodukt E-Cadherin normalerweise für die Verankerung von Zellen untereinander und mit Ihrer Umgebung verantwortlich ist. E-Cadherin ist auch an der Übertragung chemischer Signale innerhalb der Zellen, der Steuerung der Zellreifung und –bewegung, sowie der Regulierung der Aktivität bestimmter Gene beteiligt und spielt eine wichtige Rolle bei der normalen Entwicklung von Kopf und Gesicht, beteiligt und E-Cadherin wirkt auch als Tumorsuppressorprotein, das heißt, es verhindert, dass Zellen zu schnell oder unkontrolliert wachsen und sich teilen. Durch den Gendefekt werden diese Funktionen gestört und es kommt zu einer beschleunigten Tumorentstehung, sowie einer ineffektiven Bindung unter den Tumorzellen, was zum histologischen Bild diffuser Tumorzellverbände führt.

HDGC wird autosomal-dominant vererbt, dies bedeutet, dass Mutationsträger*innen die krankheitsverursachende Veränderung im CDH1-Gen geschlechtsunabhängig mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an alle Nachkommen weitergeben. In der Regel sind mit gleicher Wahrscheinlichkeit auch alle weiteren erstgradige Angehörigen (Geschwister, Eltern) von der Mutation betroffen. Weil nicht jede*r Mutationsträger*in auch erkrankt, spricht man von inkompletter Penetranz. Aber auch gesunde Mutationsträger*innnen können die Veranlagung an Nachkommen weitergeben. Für alle blutsverwandten Angehörigen besteht die Möglichkeit einer prädiktiven (vorhersagenden) Testung, bei der die familiäre Mutation entweder nachgewiesen oder ausgeschlossen wird.

 

FRÜHERKENNUNG UND VORSORGE

Da die typischen Veränderungen der Magenschleimhaut meist klein und unauffällig sind, lassen sie sich durch eine Magenspiegelung (Gastroskopie) nur sehr schlecht erkennen. Aufgrund des hohen Magenkrebsrisikos wird gesunden Personen aus HDGC-Familien mit nachweislich krankheitsverursachenden CDH1-Mutationen derzeit die prophylaktische Entfernung des gesamten Magens (Gastrektomie) meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr empfohlen. Sofern keine prophylaktische Gastrektomie in Anspruch genommen wird, sollten jährlich Gastroskopien mit umfangreicher Probennahme der Magenschleimhaut (~ 30 Biopsien) in einem mit HDGC erfahrenen Zentrum erfolgen. Frauen ab dem 30. Lebensjahr sollten darüber hinaus ein intensiviertes Früherkennungsprogramm für Brustkrebs in einem Zentrum des Deutschen Konsortiums Familiärer Brust und Eierstockkrebs wahrnehmen, in Einzelfällen kann eine prophylaktische Entfernung der Brustdrüsen erwogen werden.