NTHL1-assoziierte Polypose (NAP)
Das NTHL1-assoziierte Tumorsyndrom (NAP, Häufigkeit ca. 1: 115.000) ist charakterisiert durch das Auftreten einer milden adenomatösen Polypose des Dickdarms (meist <100 Polypen), weniger häufig treten sessile serratierte Läsionen auf, und teilweise bilden sich Adenome auch im Zwölffingerdarm (Duodenum). Unbehandelt resultiert ein deutlich erhöhtes Risiko für kolorektale Karzinome und wahrscheinlich auch für Duodenalkarzinome, weswegen die regelmäßige endoskopische Entfernung der Polypen erforderlich ist. Sofern eine endoskopische Kontrolle der Polypen nicht mehr erreicht werden kann, oder bereits ein Karzinom aufgetreten ist, kann die operative Entfernung des betroffenen Darmabschnitts notwendig werden.
Darüber hinaus scheinen auch verschiedene extraintestinale Tumore bei Personen mit NTHL1-assoziiertem Tumorsyndrom gehäuft aufzutreten (Gesamtrisiko bis zum 65. Lebensjahr ca. 35-78%), hierzu zählen bei Frauen insbesondere Brust- und Gebärmutterschleimhautkrebs (Mamma- bzw. Endometriumkarzinom), sowie geschlechtsunabhängig Tumore der Hirnhäute (Meningeome), der Harnwege (Urothelkarzinome), der Haut (Basaliome und Plattenepithelkarzinome), des blutbildenden Systems (Lymphome, Leukämien). Möglichweise ist auch das Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs (Pankreaskarzinom) und weitere Tumorarten gesteigert, genauere Angaben sind jedoch aufgrund der limitierten Datenlage derzeit nicht möglich. Die meisten der Tumoren treten zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr und damit früher als in der Allgemeinbevölkerung auf.
VERERBUNG
Das NTHL1-assoziierte Tumorsyndrom wird durch biallelische Keimbahnmutationen (Veränderungen sowohl der mütterlichen als auch der väterlichen Genkopie) im NTHL1-Gen ausgelöst. NTHL1 ist, ähnlich wie MUTYH, an der Reparatur von DNA-Schäden beteiligt, die durch Zellalterungsprozesse und Umwelteinflüsse hervorgerufen werden und entfernt oxidierte Pyrimidinläsionen (s. Insert Abb. 1). Mutationen im NTHL1-Gen führen zu einer verringerten DNA-Bindung und Glycosylase-Aktivität im durch NTHL1 kodierten Endonuklease III ähnlichen Protein 1 und somit zu einer verringerten DNA Reparatur (s. Abb. 1). Durch den Gendefekt kommt es zur Anhäufung dieser Veränderungen im Erbgut und in der Folge zu einer beschleunigten Tumorentstehung.
Das NTHL1-assoziierte Tumorsyndrom folgt einem autosomal-rezessiven Erbgang, dies bedeutet, dass Nachkommen von Betroffenen in jedem Fall eine der beiden Mutationen im NTHL1-Gen erben und als Anlageträger*innen bezeichnet werden. Diese erkranken nicht selbst, da vom nicht betroffenen Elternteil in der Regel eine zweite, gesunde Genkopie geerbt wird. Ein Erkrankungsrisiko für die Nachkommen von Betroffenen besteht nur dann, wenn das nicht betroffene Elternteil zufällig ebenfalls Anlageträger*in ist. Die Wahrscheinlichkeit in der Allgemeinbevölkerung beträgt hierfür ca. 0,3% (Heterozygotenfrequenz). Jedes Kind erbt in diesem Fall mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% auch vom anderen Elternteil eine mutierte Genkopie und kann auch nur dann erkranken. Geschwister von Betroffenen tragen mit einer Wahrscheinlichkeit von 25% ebenfalls zwei mutierte Genkopien und mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% nur eine mutierte Genkopie. Insbesondere für Geschwister (Risikopersonen) besteht die Möglichkeit einer prädiktiven (vorhersagenden) Testung ab dem 18. Lebensjahr, bei der die Veränderung entweder nachgewiesen oder ausgeschlossen wird.
FRÜHERKENNUNG
Allen Mutationsträger*innen werden derzeit die folgenden Früherkennungsmaßnahmen empfohlen, welche sich aufgrund der begrenzten Datenlage an den Empfehlungen anderer Tumorprädispositionssyndrome mit vergleichbarem Tumorspektrum orientieren:
- Dickdarmkrebs: komplette Koloskopie ab. 18.-20. Lj. mit Entfernung aller Polypen 1- bis 2-jährlich, je nach Polypenlast, Kolektomie wenn endoskopisch nicht beherrschbar, postoperativ gleiche Kontrollintervalle
- Zwölffingerdarmkrebs: Ösophagogastroduodenoskopie ab 25.-30. Lj. mindestens 3-jährlich, bei Duodenalpolypen häufiger entspr. SPIGELMAN-Klassifikation
- Brustkrebs (Frauen): MRT der Brust ab 30. bis 60. Lj.. jährlich, zusätzlich Mammographie ab 40. bis 75. Lj. 2-jährlich
- Gebärmutterschleimhautkrebs (Frauen): transvaginaler Ultraschall und Endometriumbiopsie (Pipelle) ab 40. bis 60. Lj. 2-jährlich (optional). Darüber hinaus sollte die Möglichkeit der risikoreduzierenden Entfernung der Gebärmutter nach abgeschlossener Familienplanung diskutiert werden.
LITERATUR / LEITFADEN / SELBSTHILFEGRUPPE
LITERATUR
NTHL1 Tumor Syndrome. Kuiper RP, Nielsen M, De Voer RM, Hoogerbrugge N. GeneReviews