Zwangsstörungen
Zwangsstörungen (Obsessive Compulsive Disorder = OCD) betreffen etwa 1-3% der Kinder und Jugendlichen. Die Betroffenen berichten über unangenehme Gedanken, Ideen und Handlungsimpulse, sowie über ritualisierte Gedanken- und Handlungsketten.
Für die Entwicklung und Aufrechterhaltung zwanghafter Gedanken und/oder Handlungen wurden bisher unterschiedliche Erklärungsaspekte herangezogen. Studien zur Entstehung von Zwangserkrankungen weisen auf erbliche, neurophysiologische und biochemische Auffälligkeiten bei Patientinnen und Patienten mit Zwangsstörung hin. Obwohl der Beginn der Erkrankung häufig gut benannt werden kann, ist meist kein auslösendes Ereignis klar erkennbar. Zudem ist beispielsweise eine mangelnde Emotionsverarbeitung und -regulation in Form einer Emotionsvermeidung möglicherweise mit der Störung assoziiert. Insbesondere im Kindes- und Jugendalter ist dies jedoch bisher unzureichend erforscht.
Studien zur Entstehung von Zwangserkrankungen weisen auf erbliche, neurophysiologische und biochemische Auffälligkeiten bei Patienten mit Zwangsstörung hin. Obwohl der Beginn der Erkrankung häufig gut benannt werden kann, ist meist kein auslösendes Ereignis klar erkennbar.
OCD wurde auf neuronaler Ebene mit einer Dysfunktion der Belohnungsmechanismen, nämlich der dopaminergen Neurotransmission im Striatum, in Verbindung gebracht. Ein wichtiger Motivationsfaktor bei Zwangshandlungen ist die Vermeidung von Schaden (Bey et al., 2017; Hauser, Eldar & Dolan, 2016). Es ist möglich, dass die Durchführung einer Zwangshandlung zu einer Spannungsreduktion bei den Betroffenen beiträgt und darüber verstärkt angewendet wird. Diese Zusammenhänge untersuchten wir in unserer REDO-MindApp-Studie. Im Rahmen des Projektteils MindApp, untersuchten wir ob und welche Wirkung ein über eine Smartphon-App durchgeführtes Achtsamkeitstraining auf die Symptomatik der OCD hat. Zwar gibt es bereits erste Behandlungsprogramme für erwachsene Patienten (d.h. "achtsamkeitsbasierte Behandlungen"), die sich auf diese Prozesse konzentrieren, jedoch keine, welche sich einen entsprechenden Fokus auf diese Besonderheiten in Kindheit und Jugend legen.
In unseren OCDI & OCDII-Studien untersuchten wir, inwieweit die OCD mit Beeinträchtigungen der kognitiven Kontrolle und der antizipatorischen Prozesse einhergeht und erhoben dazu neuronale und Verhaltenskorrelate von betroffenen und gesunden Kindern und Jugendlichen im Alter von 11-17 Jahren.
Tourette Syndrom (TS) und OCD haben ähnliche neurobiologische Grundlagen, ähnliche klinische Merkmale und treten häufig gemeinsam auf, insbesondere im Kindes- und Jugendalter. Es gibt eindeutige Hinweise darauf, dass Veränderungen in den kortiko-striato-thalamo-kortikalen Regelkreisen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung beider Störungen eine Rolle spielen. Insbesondere Neurotransmission durch den Botenstoff Dopamin scheint dabei betroffen zu sein. Unser Sensory-Projekt umfasste mehrere Studien, in denen Kinder und Jugendliche mit TS und OCD sowie eine gesunde Vergleichsgruppe dahingehend untersucht wurden.
Abgeschlossene Projekte
REDOMindApp - Dopaminerge Modulation der Verarbeitung von Gewinnen und Verlusten sowie Emotionsregulation bei Kindern und Jugendlichen mit Zwangsstörungen
PI: Dr. Nicole Beyer, Dr. habil. Nora Vetter
Kontakt: Dr. habil. Nora Vetter, Dr. Maria McDonald
Bei Kindern und Jugendlichen liegt die Prävalenz der Zwangsstörung (Obsessive Compulsive Disorder = OCD) zwischen 1-3 % (Walitza et al., 2011). Diese psychische Störung, die zumeist bis ins Erwachsenenalter andauert und als eine der am stärksten beeinträchtigenden Störungen eingestuft wurde (Murray & Lopez, 1996), ist durch unerwünschte Gedanken und Bilder (Obsessionen) und/oder sich wiederholende Verhaltensweisen (Zwangshandlungen) gekennzeichnet. Zu dieser Symptomatik können unterschiedliche Aspekte beitragen. Zum einen wurde OCD auf neuronaler Ebene mit einer Dysfunktion der Belohnungsmechanismen, nämlich der dopaminergen Neurotransmission im Striatum, in Verbindung gebracht. Ein wichtiger Motivationsfaktor bei Zwangshandlungen ist die Vermeidung von Schaden (Bey et al., 2017; Hauser, Eldar & Dolan, 2016). Es ist möglich, dass die Durchführung einer Zwangshandlung zu einer Spannungsreduktion bei den Betroffenen beiträgt und darüber verstärkt angewendet wird.
Frühere Untersuchungen deuten außerdem darauf hin, dass Patienten mit Zwangsstörungen einerseits weniger stark auf Belohnungen und andererseits empfindlicher auf Verluste reagieren (Fullana et al., 2004). Dies spiegelt sich auf neuronaler Ebene in einer Dysfunktion der Belohnungsmechanismen, nämlich der dopaminergen Neurotransmission im Striatum, wider. Die charakteristische Wiederholung von Zwangshandlungen (z.B. Waschen, Kontrollieren, Sortieren etc.) könnte laut Stern & Taylor (2014) darauf zurückzuführen sein, dass die Belohnung, die gewöhnlich auf den erfolgreichen Abschluss einer Handlung folgt, bei Patienten mit einer Zwangsstörung nicht zum Tragen kommt.
Aus diesem Grund könnte eine veränderte Belohnungsverarbeitung (einschließlich der Verarbeitung von Verlusten) vorliegen. Fraglich ist daher, ob die klinischen Symptome in einer veränderten Aktivität des neuronalen Belohnungssystems (Striatum) verankert sind.
Ein weiterer Aspekt, der mit Zwangsstörungen assoziiert sein könnte, ist eine mangelnde Emotionsregulation in Form einer Emotionsvermeidung. Demnach könnten kompensatorische Zwangshandlungen mit einer defizitären Emotionsregulation zur Reduktion der als unkontrollierbar erlebten emotionalen Anspannung assoziiert sein. Auf hirnfunktioneller Ebene wurde eine abweichende Emotionsregulation bei Zwangsstörungen bereits im Rahmen einer veränderten Aktivierung von top-down Kontrollregionen im präfrontalen und cingulären Kortex oder bottom-up Emotionsregionen wie der Amygdala gezeigt (Thorsen et al.,2018). Die genannten Regionen unterliegen der Reifung im Jugendalter, einer zentralen Phase für die Entwicklung von Emotionsregulationsstrategien. Aus diesem Grund soll untersucht werden, wie junge OCD-Patienten ihre Emotionen regulieren, welche Strategien sie wählen und ob sich Zusammenhänge mit einer veränderten Aktivität von o.g. Hirnregionen zeigen.
Diese Studie untersuchte die Verarbeitung von Emotionen, welche an der Entstehung von Zwangsstörungen beteiligt sein könnten. Das Projekt besteht aus 2 Teilbereichen:
REDO mit Achtsamkeitstraining
Dieser Bereich der Studie untersuchte, inwieweit Kinder und Jugendliche mit Zwängen bestimmte Emotionen anders verarbeiten als nicht-betroffene Jugendliche, welche Hirnregionen dabei aktiviert sind und die Veränderbarkeit durch ein 8-wöchiges Achtsamkeitstraining (per Smartphone-App).
In den Studienterminen kamen folgende Aufgaben/Methoden auf die Proband*innen zu:
- Magnetresonanztomographie (MRT),
- Interviews,
- das Ausfüllen von Fragebögen
- sowie Achtsamkeitsübungen
MindApp
Es bestand ebenso die Möglichkeit, an unserer Wartekontrollgruppe teilzunehmen: Hierbei mussten lediglich Fragebögen ausgefüllt und ein Interview durchgeführt werden. Die Achtsamkeitsübungen waren nach der Studienteilnahme möglich.
OCDI & OCDII - Neurophysiologie kognitiver Kontrollfunktionen bei Zwangsstörungen
Kontakt: Dr. Nicole Beyer
Die neurobiologischen Grundlagen der Zwangsstörungen (Obsessive Compulsive Disorder = OCD) sind bis dato nicht vollständig verstanden. Umfassende Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass kortiko-striato-thalamo-kortikale Regelkreise betroffen sind (Melloni et al., 2012; Menzies et al., 2008; Saxena, Brody, Schwartz, & Baxter, 1998). Im Hinblick auf die Relevanz der kortiko-striato-thalamo-kortikalen Regelkreise bei der OCD rückt die Bedeutung des dopaminergen Systems für die Neuropathologie der OCD stärker in den Fokus und wurde in dieser Studie untersucht.
Dopamin spielt eine wichtige Rolle bei der Modulation der kognitiven Kontrolle. Die dopaminerge Modulation der kognitiven Kontrolle beruht auf zwei antagonistischen Teilprozessen, Stabilität und Flexibilität. Während Stabilität die Fähigkeit beschreibt, Inhalte und Ziele im Arbeitsgedächtnis zu erhalten und vor konkurrierenden Reizen abzuschirmen, beschreibt Flexibilität die Fähigkeit, zwischen Gedächtnisinhalten und -zielen zu wechseln und so unerwartete Informationen berücksichtigen zu können (Durstewitz & Seamans, 2008; Goschke, 2000). Um sich in Alltagssituationen adäquat verhalten zu können, ist eine Balance zwischen diesen beiden Prozessen, die über verschiedene dopaminerge Systeme vermittelt werden, notwendig (Cools & D'Esposito, 2010; Durstewitz & Seamans, 2008).
Vor diesem Hintergrund untersuchten wir, inwieweit die OCD mit Beeinträchtigungen der kognitiven Kontrolle und der antizipatorischen Prozesse einhergeht. Wir erhoben neuronale und Verhaltenskorrelate von betroffenen und gesunden Kindern und Jugendlichen im Alter von 11-17 Jahren. Die Studie umfasste einen Termin für eine EEG-Aufzeichnung, bei dem auch einige Leistungstests sowie einige störungsspezifische Vortests durchgeführt werden sollen.
Publikationen zum Projekt:
Wolff N, Buse J, Handrick J, Roessner V, Beste C: Modulations of cognitive flexibility in obsessive compulsive disorder reflect dysfunctions of perceptual categorization. J Child Psychol Psychiatry, 58(8):939-949, 2017.
Wolff N, Giller F, Buse J, Roessner V, Beste C: When repetitive mental sets increase cognitive flexibility in adolescent obsessive-compulsive disorder. J of Child Psychiatr and Psychol, 59(9):1024-1032, 2018.
Wolff N, Chmielewski W, Buse J, Roessner V, Beste C: Paradoxical response inhibition advantages in adolescent obsessive compulsive disorder result from the interplay of automatic and controlled processes. Neuroimage Clin, 23:101893, 2019.
Sensory - Neuroanatomische Grundlagen von Beeinträchtigungen beim sensomotorischem Gating und Fehlern beim Treffen von Vorhersagen bei Kindern und Jugendlichen mit Tourette Syndrome und Zwangsstörungen
Kontakt: Dr. Judith Buse
Tourette Syndrom (TS) und Zwangsstörungen (Obesessive Compulsive Disorder = OCD) haben ähnliche neurobiologische Grundlagen, ähnliche klinische Merkmale und sie treten häufig gemeinsam auf, insbesondere im Kindes- und Jugendalter. Es gibt eindeutige Hinweise darauf, dass Veränderungen in den kortiko-striato-thalamo-kortikalen Regelkreisen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung beider Störungen eine Rolle spielen. Insbesondere Neurotransmission durch den Botenstoff Dopamin scheint dabei betroffen zu sein.
Das Projekt umfasste mehrere Studien, in denen an Kindern- und Jugendlichen mit TS und OCD sowie an einer gesunden Vergleichsgruppe zum einen die Prä-Puls Inhibition (PPI) untersucht wurde und zum andere die kognitive Verarbeitung von vorhersagbaren und nicht-vorhersagbaren Reizen. Hierbei kamen Elektromyographie und funktionelle Magnet-Resonanz-Tomographie (fMRT) zum Einsatz.
Die erste Studie zeigte, dass Jungen mit TS eine verringerte PPI der Schreckreaktion aufwiesen. Diese Reduktion der PPI wurde mediiert von verringerter Aktivität im Gyrus frontalis medius, Gyrus postcentralis, Lobulus parietalis superior, Gyrus cinguli und Nucleus caudatus. Die positive Korrelation zwischen der PPI der Schreckreaktion und der Aktivität im Lobulus parietalis superior belegt, dass diese Region eine wichtige Rolle spielt für die Veränderungen im sensomotorischen Gating bei Patienten mit TS.
In der zweiten Studie untersuchten wir den Zusammenhang zwischen Zwangssymptomen und der kognitiven Verarbeitung von vorhersagbaren und nicht-vorhersagbaren musikalischen Reizen mit dem Harmonic Expectancy Violation Paradigma an einer Stichprobe von gesunden Erwachsenen. Die Verarbeitung von nicht-vorhersagbaren/abweichenden musikalischen Reizen hing mit dem Erleben von Unvollständigkeitsgefühlen zusammen – zusammen mit Schadensvermeidung stellt das Erleben von Unvollständigkeitsgefühlen eine der Kerndimension von OCD dar. Die Studie zeigt, dass das Harmonic Expectancy Violation Paradigma ein großes Potenzial für die Forschung auf dem Gebiet der Zwangsstörungen bietet. Weiter macht sie deutlich, dass es wichtig ist dabei zwischen dem Erleben von Unvollständigkeitsgefühlen und der Schadensvermeidung als zugrundeliegende Kerndimensionen zu unterscheiden.
In der dritten Studie untersuchten wir die Aktivierung des neuroanatomischen Netzwerks während der kognitiven Verarbeitung von vorhersagbaren und nicht-vorhersagbaren musikalischen Reizen in einer Stichprobe von Jungen mit OCD und einer gesunden Kontrollgruppe mit Hilfe von fMRT. Es zeigte sich, dass Jungen mit OCD den Gyrus temporalis superior und den Gyrus frontalis inferior vor allem während der Verarbeitung von vorhersagbaren Standard-Reizen aktivierten, während diese Regionen in der gesunden Vergleichsgruppe vor allem während der Verarbeitung von nicht-vorhersagbaren/ abweichenden Reizen aktiviert wurden.
In der vierten Studie wurde das Studienprotokoll aus der dritten Studie an einer Stichprobe von Jungen mit TS angewendet. Auch hier kam eine gesunde Vergleichsgruppe zum Einsatz. Die Jungen in der gesunden Vergleichsgruppe reagierten schneller auf die nicht-vorhersagbaren/abweichenden Reize als auf die vorhersagbaren Standard-Reize, während sich dieser Effekt in der Gruppe von Jungen mit TS nicht zeigte. Die Ergebnisse auf Ebene der Reaktionszeiten spiegelten sich in den Aktivierungsmustern des Gyrus cinguli anterior (ACC) wieder. Die gesunde Vergleichsgruppe zeigte eine stärkere ACC Aktivierung während der Verarbeitung von nicht-vorhersagbaren/abweichenden Reizen als während der Verarbeitung von vorhersagbaren Standard-Reizen, während bei den Jungen mit TS kein Unterschied zwischen den beiden Arten von Reizen mit Hinblick auf die Aktivierung des ACC zu beobachten war. Bei den Jungen mit TS zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Aktivierung des ACC und der Stärke der Tics, wobei eine stärkere Aktivierung während der Verarbeitung von vorhersagbaren Standard-Reizen mit einer größeren Tic-Stärke einherging.
Unsere Ergebnisse lassen sich unter dem Konzept des „predictive processing“ verstehen und diskutieren. Die stärkere Reaktion auf nicht-vorhersagbare/ abweichende Reize (im Gyrus temporalis superior, Gyrus frontalis inferior und ACC), die wir bei gesunden Individuen beobachten konnten zeigt an, dass hier „Vorhersagefehler“ codiert wurden. Die Patienten mit OCD und TS zeigten diese stärkere Reaktion nicht, was darauf hindeutet, dass sie Schwierigkeiten damit hatten, „Vorhersagefehler“ korrekt zu codieren. Gleichzeitig zeigten die Patienten mit TS und ZW eine stärkere Reaktion auf vorhersagbare Standard-Reize, die normalerweise abgeschwächt ausfallen würde. Zusammengenommen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass TS und ZW einhergehen mit einem Defizit, die Verarbeitung von bereits bekanntem sensorischen Input zu inhibieren, was dann dazu führt, dass keine korrekten Vorhersagen über zukünftige Ereignisse oder Reize getroffen oder aufrechterhalten werden können. Interessanterweise werden sowohl predictive Processing als auch sensomotorisches Gating von dopaminerger Neurotransmission in den kortiko-striato-thalamo-kortikalen Regelkreisen moduliert, die bekanntermaßen bei TS und OCD Veränderungen aufweisen.
Publikationen zum Projekt
Buse J, Beste C, Roessner V: Neural correlates of prediction violations in boys with Tourette syndrome - evidence from harmonic expectancy. World J Biol Psychiatry, 23:130-141, 2018.
Buse J, Beste C, Herrmann E, Roessner V: Neural correlates of altered sensorimotor gating in boys with Tourette Syndrome: A combined EMG/fMRI study. World J Biol Psychiatry, 17(3):187-97, 2016.
Buse J, Roessner V: Neural correlates of processing harmonic expectancy violations in children and adolescents with OCD. Neuroimage Clin, 10:267-73, 2015.
Buse J, Dörfel D, Lange H, Ehrlich S, Münchau A, Roessner V: Harmonic expectancy violations elicit not-just-right-experiences: A paradigm for investigating obsessive-compulsive characteristics? Cogn Neurosci, 6(1):8-15, 2015.