Neurobiologische Grundlagen der Anorexia Nervosa
Anorexia nervosa (AN) ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen bei Mädchen und jungen Frauen. Die Erkrankung führt zu schwerwiegenden medizinischen Komplikationen und erhöhter Sterblichkeit. Die erkrankungsbedingte Unterbrechung somatischer und psychischer Entwicklungsprozesse hat oft jahrelange negative Nachwirkungen. Mehr Informationen zur Erkrankung und den Therapieangeboten in unserem Zentrum für Essstörungen finden Sie hier.
Studien an Menschen und Tieren zeigten Veränderungen in verschiedenen Neurotransmittersystemen und von Neuropeptiden, die wahrscheinlich durch Mangelernährung und Untergewicht induziert sind. Welche biologischen Faktoren die Erkrankung begünstigen, ist bisher wenig bekannt. Ein Weg, die durch das Untergewicht bedingten sogenannten "state"- von den eher stabilen "trait"-Markern zu unterscheiden, ist die Untersuchung von Patienten mit AN in verschiedenen Stadien der Erkrankung, z.B. im akuten, symptomatischen Stadium und nach Gesundung.
Unser Untersuchungsspektrum reicht dabei von struktureller und funktioneller Magnetresonanztomografie, über Fragebogenverfahren und strukturierten Interviews, bis hin zur Analyse von Hormonen und genetischen Varianten (Details siehe unten). Ein Teil unserer Forschungsprojekte zu kognitiven und emotionalen Prozessen sowie den dazugehörigen neuronalen Netzwerken führen wir unter dem Dach des Sonderforschungsbereichs (SFB 940) der TU Dresden durch. Erste Veröffentlichungen zu unseren Ergebnissen sind u.a. hier aufgelistet. Konkrete Informationen zur Teilnahme an unserer Studie gibt es hier.
Strukturelle & funktionelle Magnetresonanztomografie
Bei der Magnetresonanztomografie (MRT) befindet sich der Kopf während der Untersuchung im Magnetfeld einer großen Röhre. Diese Röhre wird auch Tomograf oder „Scanner“ genannt. Dabei werden keine radioaktiven Substanzen oder ionisierende Strahlung verwendet. Die MRT-Technik ist sicher und wird weltweit bereits seit über 20 Jahren eingesetzt. Während der Untersuchung stehen die Probanden durchgängig über Lautsprecher und Mikrofon mit dem Untersucher in Verbindung.
Die strukturelle MRT-Untersuchung ermöglicht eine detaillierte bildliche Darstellung und Analyse aller Teile des Gehirns. Allerdings erfüllt eine im Rahmen der Forschungsstudie angefertigte MRT-Aufnahme nicht alle Anforderungen, die für eine neuroradiologische Diagnostik notwendig sind. Besondere Einstellungen am Scanner erlauben es uns auch, die Verbindungen zwischen den Gehirnregionen (weiße Substanz) darzustellen DTI).
Bei der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) geht es um die bildliche Darstellung der Aktivität des Gehirns. Hierzu präsentieren wir zum Beispiel Entscheidungs- oder Gefühlsaufgaben, um dem Gehirn „bei der Arbeit“ zuzuschauen. Damit können wir den Ablauf der Informationsverarbeitung im Gehirn vom Reiz bis zur Handlung besser nachvollziehen, und herausfinden, wo Unterschiede zwischen Gesunden und Patientinnen mit Magersucht bestehen - bei der Empfindung von Reizen, bei der Bearbeitung von Reizen oder bei der Handlung. Bei einem anderen Experiment studieren wir die Hirnaktivität der Probanden in Ruhe. Dabei lässt sich gut berechnen, welche Hirnregionen untereinander gut vernetzt sind (functional connectivity). Für all diese Experimente gilt: Die fMRT-Technik erlaubt keine Aussagen über einzelne Probanden, sondern kann nur Gruppenunterschiede feststellen.
Fragebogenverfahren & Ecological Momentary Assessment
Um unsere Ergebnisse in Beziehung mit psychischen Symptomen setzen zu können, führen wir ein klinisches Interview durch und bitten alle Probanden, mehrere Fragebögen auszufüllen. Ein Problem von Fragebogenverfahren ist bislang, dass in der Vergangenheit erlebte Ereignisse und Emotionen bewertet werden sollen. Diese rückblickende Bewertung ist möglicherweise verzerrt und somit weniger aussagekräftig. Für unsere Datenerhebung nutzen wir deswegen auch die Technik des Ecological Momentary Assessments, d.h. wir programmieren Smartphones, um unsere Probanden mehrfach täglich in ihrem Alltagsleben mit einer App zu befragen. Dies ermöglicht uns eine objektivere Datenerfassung und -verarbeitung. In Zukunft soll dieses Verfahren auch für neue Therapieansätze, z.B. in der Rückfallprophylaxe, genutzt werden.
Endokrinologie & Genetik
Bei Magersucht kommt der Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht. Veränderungen der Spiegel von Hormonen (z.B. Leptin, Cortisol), von Neuropeptiden oder anderen Biomarkern können im Blut, Urin oder Haar gemessen werden. Einige, aber nicht alle Marker normalisieren sich im Rahmen der Gewichtszunahme. Derzeit beschäftigt uns die Frage, inwieweit die Veränderung bestimmter Hormonspiegel psychische Symptome weiter verschlimmern kann und ob es dafür neuronale Korrelate gibt. Auch erbliche Faktoren, also genetische Polymorphismen, spielen dabei möglicherweise eine Rolle.