Präventionsgeschichte in Dresden
Von Carus zu Carus – Die Dresdner Gesundheitsversorgung im Wandel der Zeit
Prävention in Dresden – ein Stichwort, welches schon seit fast zwei Jahrhunderten in der landeshauptstädtischen Geschichte verankert ist. Carus, Lahmann, Lingner, Rostoski, Haller, Hanefeld, Schulze – Namen die untrennbar mit den Dresdner Gesundheitstraditionen stehen. Als logische Schlussfolgerung dieser tiefen Verwurzelung der Gesundheitsversorgung und –vorsorge in die städtische Geschichte steht heute das Maximalversorgung bietende Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ Dresden.
Genau dieser Carl Gustav Carus war es, der im Jahre 1815 die Chirurgisch-Medizinische Akademie mitbegründete und zugleich zum Professor berufen wurde. Der erste Grundstein für das heutige Universitätsklinikum in Dresden war damit gelegt. In der Folgezeit stieg Carus zum ersten Leibarzt des sächsischen Königs Friedrich August II. auf. Während seiner gesamten Professortätigkeit hielt er zudem auch immer wieder Vorträge und verfasste Publikationen, um seine Erkenntnisse als Mediziner nach außen zu tragen.
In diesem Zusammenhang sprach Carl Gustav Carus schon Mitte des 19. Jahrhunderts im Ursprung von der selben Art der Prävention, wie es heute die Forscher der Medizinischen Klinik III unter der Leitung von Prof. Bornstein bezüglich der Vorbeugung von Diabetes tun. Carus erkannte, dass „die bei weitem größere Hälfte [der Krankheiten] nur als aus Ursache [der übermäßigen Ernährung] hervorgegangen sich nachweisen lassen.“ Selbiges ist auch heute bei der fortwährenden Ausbreitung des Diabetes das Problem unserer Gesellschaft, ebenso wie die menschlich geschaffene Wollust beim Aufnehmen der Nahrung , die Carus ebenfalls schon 1856 kritisierte.
Mit seinen fortlaufenden Warnungen, dass „die Gefahr des Erkrankens bei zu reichlichem Aufnehmen nährender Stoffe näherliegen müsse als bei einem zu geringem“ , zeigte er schon früh erste Ansätze zur Prävention. Diese unterlegte er mit Hinweisen, die auch heute noch als allgemeingültig und gesund angesehen werden und im Zusammenhang mit gesunder Ernährung stehen. So riet er, die Aufnahme von Nahrungsmitteln in einer geregelten Zeit und mit ausreichenden Pausen zu tätigen und nur eine abgemessene Menge zu sich zu nehmen, aus dem schließlich ein Gefühl von Wohlsein hervorgeht. Immer wieder versuchte er, seine Zuhörer und Leser für diese Problematik zu sensibilisieren, mit dem Wunsch, dass diese „ein gewisses Achten auf sich selbst“ an den Tag legen und damit einen guten Mittelweg zwischen Über- und Unternährung finden. Dieser Zwiespalt war tatsächlich weit verbreitet, denn die wohlhabenden Bevölkerungsschichten neigten eher zur „Maximalversorgung“, wo hingegen die rangniederen Bürger auf Grund von Geld- und Nahrungsknappheit stets mit Hunger kämpfen musste.
Vor allem für die Oberschicht ergaben sich aus dieser Überernährung Probleme, die zum Teil schwerer gesundheitlicher Natur waren, denn neben den konsequenterweise auftretenden Verdauungsproblemen oder Magen- und Darmkrankheiten konnten noch ein verändertes Blutbild, Fettleibigkeit, Wassersucht, Lähmungen, Nierenprobleme oder Störungen der Herz- und Hirn¬funktionen hinzukommen. Aus diesem Grund gab es schon früher Heilbäder und Thermalquellen, in denen sich die Wohlhabenden therapieren lassen konnten. Dies zeigte allerdings nur dann einen langhaltigen Effekt, „wenn nicht bloß die Kur selbst unterstützt, sondern auch nach derselben [Lebensweise] in einer neuen Lebensordnung [gelebt] wird.“
Das Konzept von Kuren und Heiltherapien wurde auch von Dr. Johann Heinrich Lahmann verfolgt. Nachdem er in verschiedenen Städten Medizin studierte und schließlich eine Arztpraxis sowie nachfolgend eine Naturheilanstalt führte, wechselte Lahmann nach Dresden und gründete im damaligen Dresdner Vorort (heute Stadtteil) Weißer Hirsch ein Sanatorium. Damit fügt sich der Geschichte ein weiteres Kapitel der Dresdner Prävention hinzu.
Auch Johann Heinrich Lahmann bestätigte Carus’ Ansichten, dass alle Krankheiten letztlich durch falsche Ernährung verursacht und folglich auch durch richtige Nahrungsaufnahme vermieden werden können. Aus dieser Erkenntnis folgerte er, dass die übliche Kost zu wenige basische Mineralstoffe enthielt und empfahl daher eine weitgehend vegetarische Ernährung. Diese setzte er auch in seinem 1888 eröffneten Sanatorium ein, in dem die Patienten zusätzlich mit Luftbädern, Bewegung, und Liegekuren – alles an der frischen Luft – thera¬piert wurden. Somit entwickelte sich ein wahrer Gesundheitstourismus in dem feinen Vorort von Dresden mit in der Spitze bis zu 7400 Besuchern pro Jahr. Auch nach dem ersten Weltkrieg machte sich das Sanatorium weiterhin als gefragte Kureinrichtung einen Namen und verhalf Dresden damit zu einer noch stärkeren Bedeutung im Gesundheits¬tourismus und der Präventivmedizin.
Bezug zum ersten Weltkrieg hatte auch ein anderer Präventivmediziner in Dresden, der allerdings mehr als Quereinsteiger bezeichnet werden dürfte. Karl August Lingner belieferte die an den Fronten kämpfenden Truppen mit dringend benötigten Heilsera. Zuvor ist ihm aber eine recht abwechslungsreiche Vita zuzuschreiben.
Völlig entfernt von der Medizin bzw. Gesundheitsbranche absolvierte Lingner in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts eine Handelsausbildung. Verschiedenste Anstellungen in diversen Branchen prägten die folgenden Jahre, ehe er durch einen langjährigen Freund Zugang zu den maßgebenden Arbeiten der modernen Bakteriologie fand. Diese Zukunftschance ergreifend, entwickelte er den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechend, ein Mundwasser, welches den erhöhten Schutz vor ungewünschten Bakterien im Mund sicherstellte. Dieses Produkt, damals wie heute unter dem Namen „Odol“ bekannt und weltberühmt, fand einen enormen Absatz und ließ Lingner schnell zu einem wohlhabenden Unternehmer und einer weiteren Dresdner Persönlichkeit in der Präventivmedizin aufsteigen.
Während seiner Unternehmertätigkeit erkannte er auch die bestehende Unkenntnis der Bevölkerung bezüglich Erkrankungen und den Schutzmöglichkeiten vor derer. Dank seines Millionenvermögens und seiner guten Kontakte zu Medizinern dieses Fachgebiets konnte er zahlreiche Maßnahmen realisieren, die diese Situation spürbar verbesserten. Dazu wurde er Mitglied im Deutschen Verein für Volkshygiene und hielt öffentliche, vor allem für die Bevölkerung allgemeinverständliche Vorträge und brachte populäre Schriften wie „Blätter für Volksgesundheitspflege“ und „Veröffentlichungen des Deutschen Vereins für Volksgesundheitspflege“ heraus. Im Jahre 1900 gründete er die „Zentralstelle für Zahnhygiene“, 1901 die „Öffentliche Zentrale für Desinfektion“ und weitere 6 Jahre später eine Schulzahnklinik. Neben all diesen Einrichtungen, die ein geregelteres Maß an Vorsorge gewährleisten und somit die Bevölkerung schon im Vorfeld vor Krankheiten schützen sollten, war Lingner auch federführend in der Organisation von zwei großen Ausstellungen. Zum einen fand 1903 die Ausstellung „Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung“ statt, zum anderen leitete Lingner die 1.Internationale Hygieneausstellung in Dresden im Jahr 1911, die mit über 5.000.000 Besuchern den Status einer Weltausstellung hatte. Sie war zugleich Namensgeber für das heutige Hygienemuseum.
Auf der 1. Internationalen Hygieneausstellung wurde auch eine Wellenmaschine vorgestellt. Diese wurde von einem begeisterten Besucher und bekannten Naturheilkundler sofort gekauft. Dieser Käufer war Friedrich Eduard Bilz, der sich zunächst dem Webhandel zuwendete, sich später aber auf Grund seiner ausreichenden Besitzverhältnisse für die Naturheilkunde interessierte. Nach seinem Umzug nach Radebeul gründete er dort, ebenso wie Lahmann, ein kleines Sanatorium für das Wohlbefinden der Bevölkerung, welches schnell an seine Kapazitätsgrenzen gelangte und ausgebaut wurde. Weiterhin erlangte Friedrich Eduard Bilz Berühmtheit durch sein 1888 erschienenes Buch „Bilz, das neue Heilverfahren, ein Nachschlagebuch für Jedermann in gesunden und kranken Tagen“, welches im Volksmund als „Bilz-Buch“ bekannt wurde. Zusätzlich zu seinem Sanatorium eröffnete er auch im Jahre 1905 das „Bilz-Licht-Luft-Bad“ als Volksgesundheitsstätte für die Öffentlichkeit in Radebeul. Dieses erweiterte er sieben Jahre später mit der eingangs erwähnten Wellenmaschine der Marke Undosa, woraufhin das noch heute geöffnete „Bilzbad“ den Beinamen „Undosa-Wellenbad“ bekam. Auch heute erzeugt die Maschine noch immer Wellen für die Besucher der Einrichtung.
Zwei Jahre nach Bilz’ Tod machte ein weiterer Spezialist der Inneren Medizin in Dresden Schlagzeilen. Prof. Otto Rostoski gründete im Jahr 1924 die erste Diabetesambulanz Europas und setzte damit einen wichtigen Meilenstein in der Geschichte der Diabetesversorgung – und das nur 5 Jahre nach Entdeckung des Insulins. Seine Motivation begründete sich auf der völlig pragmatischen (aber korrekten) Annahme, dass es „zweckmäßig [erscheint], dass das Ambulatorium, das der Kranke regelmäßig aufsucht, an die Klinik, in die er nötigenfalls aufgenommen werden muss, angeschlossen ist, damit er in der Betreuung desselben ärztlichen und Pflegepersonal bleibt.“
Neben dieser wegweisenden Innovation war Rostoski auch eine, wenn nicht sogar die wichtigste Person des Dresdner Gesundheitswesen seiner Zeit. Fast ein halbes Jahrhundert lang arbeitete er wechselnd in den beiden dominierenden Stadtkrankenhäusern Johannstadt (heute Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ Dresden) und Friedrichstadt. Während des zweiten Weltkriegs half er auch im Lahmann-Sanatorium mit aus.
In der heutigen Zeit erinnert das Tumorzentrum Dresden mit der Vergabe eines nach ihm benannten Preises an seine großartigen wissenschaftlichen Leistungen und medizinischen Fortschritte. Neben seinem medizinischen Talent hatte er aber noch eine weitere Begabung, die ihm noch heute bewundernd angesehen wird. So hatte er stets ein Gespür für leistungsstarke und entwicklungsfähige Ärzte und trieb diese in ihrer medizinischen Laufbahn entscheidend voran. Immer wieder konnten so unter seiner Leitung vakante Stellen mit erfolgreichen Nachwuchsmedizinern besetzt werden.
Einer dieser Nachwuchskräfte war Prof. Wilhelm Crecelius. Er begann im Jahr der Eröffnung der Diabetesambulanz seine Tätigkeit im Stadtkrankenhaus Johannstadt als Medizinalpraktikant – unter der Leitung von Prof. Rostoski. Auch nach Crecelius’ Approbation als Arzt im Jahre 1925 blieb er als Assistenzarzt unter Rostoski und erwarb dort 1932 den Facharzt für Innere Medizin. Sein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt blieb auch nach seiner Facharztauszeichnung in Dresden, wobei er schon vorher zu seiner wohl wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnis gelangte. Im Jahr 1927 entwickelte Crecelius erstmals ein Kolorimeter zur Bestimmung des Blutzuckerspiegels und damit verbunden die Methode der Blutzuckerbestimmung nach Crecelius-Seifert, die schließlich internationaler Standard wurde.
Nach seinem kurzen Intermezzo als Klinikdirektor in Zwickau kehrte Crecelius schon 1945 wieder zurück nach Dresden und wurde am Krankenhaus Johannstadt als Ärztlicher Direktor eingesetzt. Auch nach Gründung der Medizinischen kademie im Jahre 1954 – noch heute hält sich das Wort „Medak“ hartnäckig im Dresdner Sprachgebrauch – blieb er in Dresden und erhielt sowohl die Professur mit vollen Lehrauftrag als auch den Lehrstuhl für Innere Medizin.
In die Zeit der Medak, von 1954 bis zur Auflösung im Zuge der Reform der sächsischen Hochschullandschaft, fallen auch die Untersuchungen zum Begriff des Metabolischen Syndroms. Dieser Begriff wurde maßgeblich durch Prof. Haller und Prof. Hanefeld in den 70er Jahren geprägt. Es beschreibt einen Krankheitskomplex aus Bluthochdruck, Fettleibigkeit, Fettstoffwechselstörungen und einem gestörten Zuckerstoffwechsel und wird daher auch oft als Tödliches Quartett bezeichnet. Vor allem Prof. Hanefeld prägte in dieser Zeit die Entwicklungen der Inneren Medizin in der Medizinischen Akademie, u.a. als Leiter der Abteilung für Stoffwechselkrankheiten und Endokrinopathien.
Nach der Aufspaltung der Medizinischen Akademie in das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden und die Medizinische Fakultät begann eine neue und die vorerst letzte Ära der jüngeren Zeitgeschichte. Mit Prof. Jan Schulze, der auch C3-Professor für Endokrinologie und Klinische Stoffwechselkrankheiten an der Medizinischen Fakultät war, wurde im Jahr 1994 die Bereichsleitung für Endokrinologie/Stoffwechsel neu besetzt. Seine wichtigsten Arbeitsgebiete und Projekte waren die Erarbeitung der sächsischen Diabetesleitlinien sowie die Grundlagenforschung und Prävention des Typ-2-Diabetes mellitus.
Die Prävention spielt auch heute in der Medizinischen Klinik und Poliklinik III unter Klinikdirektor Prof. Stefan Bornstein des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden eine tragende Rolle. So war Prof. Bornstein federführend bei der Entwicklung des interaktiven Gesundheitsinformationssystems MediRobo, das den Nutzern Tipps und Hinweise zur gesunden Ernährung vermittelt sowie Wissenstests zu verschiedenen Themen der Vorsorge anbietet.
Prof. Peter Schwarz leitet die Abteilung Diabetesprävention und hat mit dieser Kontakte zu und Kooperationen mit weltweit agierenden Präventionsnetzwerken. Unter seiner Führung entstand ein Fragebogen und Risikotest zur Vorbeugung von Diabetes, genannt FINDRISK. Damit kann durch Beantwortung von acht einfachen Fragen eine grobe Diagnose des Diabetesrisikos gegeben werden. Weiterhin wird Prof. Schwarz im Jahr 2011 den in Dresden stattfindenden Weltkongress des Diabetes organisieren und leiten.
Des Weiteren konnten in der letzten Zeit eine Reihe von international renommierten Wissenschaftlern für die Medizinische Klinik und Poliklinik III rekrutiert werden. Damit soll neben weiteren Forschungserfolgen und der Fortsetzung des Präventionsprogramms nicht zuletzt der Standort Dresden mit dem Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ als Medizin-, Gesundheits- und Präventionsstandort weiter vorangetrieben werden.