Unter einem künstlichen Hüftgelenk (synonym: Kunstgelenk, totaler Hüftgelenkersatz, Hüftendoprothese) versteht man in der Regel den Ersatz von Hüftkopf und Hüftpfanne. Dabei wird auf Oberschenkelseite nach Kopfentfernung ein mehr oder weniger langer Stiel in den Markraum eingebracht, auf den der künstliche Hüftkopf aufgesetzt wird:
Bei der Hüftarthrose und bei der Hüftkopfnekrose muß in der Regel das ganze Gelenk ersetzt werden, weil meist Kopf und Pfanne gleichermaßen geschädigt sind. Auch beim Schenkelhalsbruch erfolgt überwiegend ein Ersatz von (gebrochenem) Oberschenkelknochen und gleichzeitig der Pfanne, weil belassener Pfannenknorpel auf die Dauer durch einen alleinigen Prothesenkopf geschädigt würde.
Das Ziel der modernen Endoprothesenversorgung ist neben einer Verbesserung von Schmerz und Lebensqualität auch die möglichst lange Standzeit (komplikationsfreier Verbleib des Implantates im Körper). Um einen guten Einbau der Prothese im Knochen und eine lange Tragedauer zu erreichen, ist über die letzten Jahrzehnte eine Vielzahl von Implantat-Typen entwickelt worden, die sich hinsichtlich wichtiger Merkmale des Design, der Verankerung und der Beschaffenheit ihrer Gleitflächen unterscheiden.
Prinzip des künstlichen Hüftgelenkersatzes mit Entfernung des Hüftkopfes (1), Einbringen von neuer Hüftpfanne (2) und Prothesenstiel in den Oberschenkel-Markraum (3). Ein künstlicher Hüftkopf vervollständigt das neue Gelenk (4).
Die Entwicklungsprozesse verfolgten folgende Hauptziele:
- Guter knöcherner Einbau der Prothese:
Dafür ist eine möglichst hohe Stabilität unmittelbar nach der Einbringung erforderlich. Sie kann bei bereits geschwächter Knochenstruktur und verminderter biologischer Reparationsfähigkeit (vor allem im höheren Lebensalter) durch die Zementierung unterstützt werden. Die Befestigung von Prothesenschaft oder –pfanne mit einer dünnen Schicht von „Knochenzement“ gewährleistet eine sehr hohe Stabilität ohne die Notwendigkeit eines zusätzlichen knöchernen Einwachsens im weiteren Verlauf. Beim Zement handelt es sich um einen speziellen und schnell aushärtenden Kunststoff aus Polymethylmetacrylat.
Ist die Knochenstruktur und die Regenerationsfähigkeit noch gut (vor allem im jungen und mittleren Lebensalter), kann auch eine zementfreie Einbringung der Implantate erfolgen. In diesem Fall wird die anfängliche Stabiltät durch ein minimal überdimensioniertes Implantat sichergestellt und der körpereigene Knochen muß durch „Anwachsen“ an die Prothese für die dauerhafte Stabilität sorgen.
Befestigung von Prothesenpfanne (links) und Prothesenschaft (rechts) im Knochen des Patienten. In den zwei Abbildungen ist jeweils links die „zementfreie“ Einpressung und rechts die „zementierte“ Einbringung mittels (gelb markiertem) Knochenzement dargestellt.
- Vermeidung von Abrieb: Bewegen sich zwei Flächen gegeneinander (wie z.B. Kopf und Pfanne im Hüftgelenk), droht auf Dauer immer ein Materialverschleiß. Im gesunden Hüftgelenk stellen die mechanischen Eigenschaften des Knorpels über Jahrzehnte eine hohe Belastungsfähigkeit sicher, ohne daß ein wesentlicher Verschleiß entsteht. Künstlicher Gelenkersatz versucht, mit verschiedenen Materialien diese Verschleiß-arme Situation nachzuahmen. Dazu gehören hochfeste Kunststoffe, unterschiedliche Metall-Legierungen und Keramiken. In Abhängigkeit von Ausgangssituation, Belastungsanspruch und Lebensalter kommen diese Materialien in verschiedenen möglichen Kombinationen zum Einsatz. Moderne Kunstgelenke sind oft „modular“ aufgebaut (z.B. Prothesenkopf getrennt vom Prothesenstiel), weshalb eine entsprechende Auswahl erfolgen kann.
Beziehung von Kopf und Hüftpfanne im normalen Gelenk (links) und im Kunstgelenk (rechts). Die (grün markierte) Kapsel des gesunden Gelenkes umgibt nach dem Einwachsen auch das künstliche Gelenk, so daß von ihr Gelenkflüssigkeit zur Verminderung des entstehenden Abriebs gebildet werden kann.
Bestandteile eines Kunstgelenkes
Künstliche Pfanne
Zementierte Pfannenbestehen aus Polyäthylen (Kunststoff) und werden mit Knochenzement verankert. Hauptvorteil ist die vielseitige Anwendbarkeit und Möglichkeit zur sofortigen Belastung. Zementfreie Pfannen sind in der Regel modular aufgebaut. Sie bestehen aus einer metallischen Schale (meist aus Titan), in die nach dem initialen Einpressen Knochen einwachsen muß, und einer darin eingebrachten Schale („Inlay“) aus Kunststoff oder Keramik. Gelegentlich müssen zementfreie Pfannen durch zusätzliche Schrauben im Knochen verankert werden.
Hauptvorteil der zementfreien Pfannen ist die Möglichkeit zum isolierten Wechsel des Inlay, wenn es zu einem Verschleiß gekommen ist.
Künstlicher Schaft
Prothesenschäfte bestehen immer aus einem mehr oder weniger langen „Stiel“, der zur Fixierung im Markraum des Oberschenkelknochens dient, und aus dem fest damit verbundenen „Konus“ zum Aufstecken des künstlichen Kopfes.
Zementierte Schäfte werden wie auch zementierte Pfannen durch einen dünnen Mantel aus umgebendem Knochenzement in ihrem Bett verankert. Aufgrund des Zementmantels müssen sie nicht streng dem Markraum folgen, sondern können – vor allem hinsichtlich ihrer Drehung im Knochen – etwas freier platziert werden. Die sehr stabile Befestigung nach Aushärten des Zementes macht sie zu einem idealen Implantat beim weicheren Knochen im höheren Lebensalter. Zementierte Prothesenschäfte sind in der Regel aus metallischem Stahl (Kobalt-Chrom-Legierung) gefertigt.
Zementfreie Schäfteerfordern eine sehr präzise Bearbeitung des Markraumes, werden zunächst unter Druck eingepresst und erreichen ihre endgültige Festigkeit durch knöchernes Anwachsen in den ersten Wochen nach der Operation. Wenn sie erreicht ist, bleibt die Standfestigkeit – vor allem beim jüngeren Menschen – zwar meist länger erhalten als die des zementierten Schaftes, dafür kommt es aber vor allem beim zu festen anfänglichen Einpressen häufiger zu Brüchen des Oberschenkelknochens. Zementfreie Schäfte bestehen meist aus Titanlegierungen mit einer Oberflächenbearbeitung (z.B. Aufrauhung) zur Unterstützung des Knochen-Anwachsens.
Kurzschäfte werden seit einigen Jahren vermehrt propagiert. Es handelt sich dabei meist um zementfreie Implantate, die gegenüber dem Standardschaft einen etwas kürzeren Stiel aufweisen. Dem Vorteil einer etwas sparsameren Knochenentfernung steht die mögliche Gefahr des schlechteren Einwachsverhaltens gegenüber. Deshalb ist immer eine individuelle Abwägung erforderlich, welche Alternative für die vorliegende Knochenqualität am geeignetsten ist.
Prothesenkopf
Prothesenköpfe von unterschiedlicher Länge und unterschiedlichem Durchmesser können auf den Konus des Schaftes aufgesteckt werden und verklemmen dort. Ihr Operateur kann mit den unterschiedlichen Kopflängen versuchen, die Anatomie bestmöglich wiederherzustellen und eine ausreichende Gelenkstabilität zu erzielen. Die heute verfügbaren Prothesenköpfe bestehen entweder aus Metall (Kobalt-Chrom-Legierung) oder Keramik. Zwar weisen Keramik-Köpfe ein etwas günstigeres Verschleißverhalten als Metallköpfe auf, dafür besteht ein – wenn auch extrem geringes – Bruchrisiko.
Auswahl der Prothese
Die Verankerung von Schaft und Pfanne kann grundsätzlich zementiert, zementfrei oder als Kombination (sogenannte „Hybrid-Endoprothese“) erfolgen. Auch bei der Kopf-Pfannen-Gleitpaarung stehen unterschiedliche Materialien zur Verfügung. Es gibt keine „perfekte“ Prothese, welche für alle Patienten gleichermaßen zu den besten Ergebnissen führt, sondern in Abhängigkeit von Alter, Knochenqualität und Belastungssituation muss das für die individuelle Situation beste Implantat bzw. Material mit der richtigen Verankerungstechnik ausgewählt werden.
Die Zementiertechnik hat sich vor allem im höheren Lebensalter durchgesetzt, da sie eine gute Verankerung auch im biologisch weniger regenerationsfähigen Knochen gewährt und aufgrund befristeter Tragedauer kaum mit Wechseloperationen aufgrund von Materialverschleiß gerechnet werden muss. Bei einem jüngeren Patienten ist aufgrund der höheren Lebenserwartung eine Wechseloperation wahrscheinlicher. Hierbei ist bei der vollständigen Entfernung des Knochenzementes ein weiterer Knochenverlust zu befürchten. Aus diesem Grund erscheint im jungen und mittleren Lebensalter eine zementfreie Verankerung sinnvoll. Außerdem zeigen moderne zementfreie Hüftendoprothesen – insbesondere unter Nutzung sogenannter hochfester Gleitpaarungen (Metall- bzw. Keramik-Kopf gegen hochvernetzte Kunststoffpfanne oder Keramik-Kopf gegen Keramik-Pfanne) - längerfristig bessere Standzeiten als die zementierte Endoprothesenversorgung. Bei einigen Patienten kann es nützlich sein, beide Verfahren zu kombinieren, indem die Pfanne zementfrei und der Schaft mit Zement eingebracht wird, falls dies aufgrund der vorliegenden Knochenqualität insbesondere im mittlerem Patientenalter notwendig erscheint.
Insgesamt lassen sich sowohl unter Verwendung moderner Zementiertechnik als auch qualitativ hochwertiger zementfreier Implantate Erfolgsraten von mehr als 90% über 10 Jahren in großen Endoprothesenregistern nachweisen.
Oberflächenersatz
Es gibt noch eine Sonderform des künstlichen Hüftgelenkes, bei der nur die abgenutzten Oberflächen von Kopf und Pfanne ausgetauscht werden. Diese sogenannte „Oberflächenersatz-Prothese“ muß jedoch aus Metall gefertigt werden und birgt das Risiko des Abriebs von kleinen Metall-Partikeln, die zu Schäden im Gelenkbereich und in inneren Organen führen können. Auch wenn diese Gefahren bei der Verwendung hochwertiger Implantate und einer guten Operationstechnik sehr selten sind, lohnt sich das Risiko wegen der mittlerweile sehr guten Ergebnisse von Standardprothesen nicht und die Versorgung mit dem Oberflächenersatz wird deshalb heute kaum mehr angeboten.
Kurzschaftprothese
Wie es der Name schon andeutet, ist der Schaft dieser Prothese kürzer als bei der „normalen“ Version. Der Vorteil bei diesem Implantat ist, dass ein gewisser Teil des Schenkelhalses erhalten bleibt. Im Falle einer notwendigen Wechseloperation steht also mehr gesunder Knochen zur Verfügung. Deshalb bezeichnet man solche Implantate auch als „knochensparend“. Verwendung findet sie vor allem bei jüngeren Patienten, bei welchen eine spätere Wechseloperation aufgrund des Alters relativ wahrscheinlich ist. Dieser Prothesentyp hat in den ersten wissenschaftlichen Untersuchungen gute Ergebnisse erzielt. Dennoch gibt es noch keine längerfristigen Erfahrungen, so daß eine abschließende Bewertung dieser neuen Implantate gegenüber den herkömmlichen und bewährten noch nicht möglich ist.