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09. August 2024

Interview im DÄB zum Projekt WiZen

„Noch immer findet sehr viel Gelegenheitsversorgung von Krebspatienten statt“

Dresden – Mit dem Projekt „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren“ (WiZen) hat der Innova­tionsfonds eine breit angelegte Studie gefördert, die den Outcome der Versorgung von Krebspatienten in zertifizierten Zentren mit dem in nicht zertifizierten Krankenhäusern verglichen hat.

Das Ergebnis war eindeutig: Patientinnen und Patienten werden in onkologischen Zentren besser behandelt. Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt () erklärt Studienleiter Jochen Schmitt – der auch Mitglied der Regierungskommission Krankenhaus ist –, in welchem Umfang die Erkenntnisse aus dem Projekt mittlerweile Teil der Regelversorgung geworden sind und wo es beim Innovationsfonds noch Verbesserungspotenzial gibt.

5 Fragen an Jochen Schmitt, Leiter des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden

Herr Professor Schmitt, wie kam es zu dem Projekt WiZen?
Der Hintergrund des Projekts ist der Nationale Krebsplan aus dem Jahr 2008. Darin wird gefordert, dass alle Menschen, die an Krebs erkranken, eine qualitativ hochwertige Versorgung entsprechend evidenzbasierten Behandlungsleitlinien in einheitlich qualifizierten Zentren erhalten sollen.

Vor diesem Hintergrund wurde durch die Deutsche Krebsgesellschaft, (DKG) in Zusammenarbeit mit allen onkologisch tätigen Fachgesell­schaften ein Zertifizierungssystem eingerichtet, das diese Vorgaben sicherstellt.

Entgegen dem Nationalen Krebsplan werden jedoch weiterhin sehr viele Krebserkrankte in nicht entsprechend zertifizierten Kranken­häusern behandelt – bei vielen Krebsarten sogar die Mehrheit der Patientinnen und Patienten.

Vor der WiZen-Studie gab es nur eine regionale beziehungsweise eine auf einzelne Krebsentitäten begrenzte empirische Evidenz dafür, dass Krebspatienten in einem zertifizierten Zentrum besser behandelt werden als in einem nicht zertifizierten Krankenhaus. Wir wollten mit dem WiZen-Projekt überprüfen, ob sich diese positiven Effekte auch bundesweit und bei insgesamt elf Krebsentitäten zeigen.

Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Zunächst zur Methodik: Mittels kontrollierter Kohortenstudien wurde in der WiZen-Studie der Effekt der Erst­ehandlung in Krankenhäusern mit und ohne DKG-Zertifikat auf das Gesamtüberleben und auf das rezidiv­freie Überleben untersucht.

Grundlage bildeten bundesweite Daten volljähriger AOK-Versicherter sowie Krebsfälle der Klinischen Krebs­register Erfurt, Dresden, Regensburg und Brandenburg/Berlin der Jahre 2009 bis 2017. Basierend auf einer Gesamtpopulation von rund 22 Millionen volljährigen Personen konnten Patientenkohorten mit inzidenter Tumorerkrankung für die einzelnen Krebsarten zwischen 10.596 Patienten beim Zervixkarzinom und 172.901 Patienten beim Lungenkarzinom untersucht werden.

Die Ergebnisse sind sehr konsistent und robust: Sowohl in den bundesweiten GKV-Routinedaten als auch in den Krebsregisterdaten zeigten sich in allen Outcomes Vorteile zugunsten der Erstbehandlung in einem zertifizierten Krankenhaus.

So betrug die Hazard Ratio, die HR, für das Gesamtüberleben nach umfangreicher Adjustierung für patienten­seitige und klinikseitige Confounder zwischen HR=0,97; [95%-KI 0,94; 1,00] beim Lungenkarzinom und HR=0,77 [0,74; 0,81] beim Mammakarzinom. Dies entspricht einer absoluten Risikoreduktion im Gesamt­überleben von 0,62 Monaten beim Lungenkarzinom bis hin zu 4,61 Monaten beim Zervixkarzinom.

In einer weiteren Analyse konnten wir zeigen, dass eine Konzentration der Erstbehandlung von Betroffenen mit den untersuchten elf Krebsarten in einem zertifizierten Zentrum extrapoliert auf die bundesdeutsche Bevölkerung pro Jahr rund 33.000 Lebensjahre gerettet hätte.

Wie ging es nach der Veröffentlichung der Ergebnisse weiter?
Schon während der Projektlaufzeit gewannen die Ergebnisse der Studie viel Aufmerksamkeit: auf dem Deutschen Krebskongress, auf den Jahreskongressen des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung und klinischer Fachgesellschaften.

Der Innovationsausschuss wertete die Ergebnisse der Studie als einen Beleg dafür, dass eine Behandlung in zertifizierten onkologischen Zentren die Überlebenschancen für Patientinnen und Patienten deutlich erhöhen kann und bat den Gemeinsamen Bundesausschuss, unter anderem im Rahmen der Qualitätssicherung zu prü­fen, ob die Erkenntnisse aus der WiZen-Studie zeitnah zum Beispiel bei der Festlegung von Mindestanforde­rungen für Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität berücksichtigt werden können.

Basierend auf dieser positiven Bewertung erwarteten wir eine Implementierung der Erstbehandlung von Krebserkrankten in zertifizierten Krankenhäusern im Sinne einer regulatorischen Maßnahme. Jedoch wurden bisher keine entsprechenden Maßnahmen umgesetzt und uns erreichte auch kein Ergebnis der Befassung des Unterausschusses Qualitätssicherung des G-BA.

Die Regierungskommission hat in ihrer 3. Stellungnahme empfohlen, dass die Erstbehandlung von Krebser­krankten nur noch in Kliniken ab Level II in zertifizierten Zentren erfolgen soll. In ihrer 5. Stellungnahme hat die Kommission dargelegt, dass eine Konzentration der Erstbehandlung von Krebspatienten in onkologischen Zentren mit einem hohen Patientenbenefit einhergehen würde, ohne die Erreichbarkeit in relevantem Umfang zu beeinträchtigen. In den Verhandlungen zur Krankenhausreform wurde jedoch vom Level-Konzept Abstand genommen und es wird auch keine Leistungsgruppe Onkologie vorgesehen.

Noch immer finden sehr viel Gelegenheitschirurgie und -versorgung von Patientinnen und Patienten mit Krebs außerhalb von zertifizierten Zentren statt. Wir hoffen, dass die breite Kommunikation der Ergebnisse und Schlussfolgerungen der WiZen-Studie dazu beiträgt, dass Patientinnen und Patienten häufiger zertifi­zierte Zentren wählen und niedergelassene Kolleginnen und Kollegen ihre Patienten entsprechend beraten.

Wie sollte es aus Ihrer Sicht jetzt weitergehen?
Meines Erachtens sind nun regulatorische Maßnahmen geboten. Im Kabinettsentwurf zum Krankenhausver­sor­gungsverbesserungsgesetz, dem KHVVG, wird für den Bereich der onkologischen Chirurgie eine Konzentra­tion um 15 Prozent vorgesehen.

Dies wird zwar Gelegenheitschirurgie in gewissem Maße reduzieren, aber nicht die Ergebnisse der WiZen-Studie umsetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die WiZen-Studie nicht auf operative Eingriffe, sondern auf Erstbehandlungen von Krebserkrankten referenzierte – und daher auch adjuvante Chemotherapien, über die in Tumorboards beraten worden ist, einbezogen hat, soweit es sich um Erstbehandlungen handelte.

Darüber hinaus gilt: Eine qualitativ angemessene Behandlung in der Onkologie erfordert die interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit von ausgewiesenen Fachkräften entlang des gesamten Versorgungs­pfades.

Nur so ist es möglich, patientenindividuelle, komplexe tumor- und stadienspezifische Behandlungspläne zu erstellen und diese mit hoher Expertise für die operativen und systemtherapeutischen Verfahren umzusetzen.

Die strikte Orientierung an evidenzbasierten Leitlinien in DKG-zertifizierten Zentren ist entscheidend, um ge­rade bei dem derzeit rasanten Fortschritt im Bereich der Krebsmedizin allen Patienten eine angemessene, qualitativ hochwertige Versorgung zu ermöglichen.

Mit der Krankenhausreform sollen die 15 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland identifiziert werden, die die wenigsten onkochirurgischen Eingriffen durchführen, um ihnen die Abrechnung zu untersagen. Unter Um­ständen könnte dies sogar einen Anreiz für die Krankenhäuser mit sehr niedrigen Eingriffszahlen erzeugen, noch einige wenige weitere Operationen durchzuführen und Betroffenen andere, nicht operative Therapie­maßnahmen vorzuenthalten.

Aus diesem Grund sollte aus meiner Sicht der G-BA die Vorschläge des Innovationsausschusses aufgreifen und die entsprechenden Zertifizierungskriterien bei der Festlegung von Mindestanforderungen für Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität berücksichtigen. Dies könnte unabhängig von beziehungsweise ergänzend zur Krankenhausreform geschehen.

Wie groß ist aus Ihrer Sicht der Einfluss, den der Innovationsfonds auf die Verbesserung der Versorgungs­qualität in Deutschland hat?
Das Deutsche Netzwerk Versorgungsforschung hat kürzlich ein Positionspapier zu dieser Fragestellung publi­ziert. Darin zeigt sich, dass der Innovationsauschuss zahlreiche Projekte für die Übernahme in die Regelver­sor­gung empfohlen hat.

Tatsächlich mündeten bisher jedoch nur sehr wenige dieser Projekte in einer regulatorischen Weiterentwick­lung der Regelversorgung. Eine Ursache ist aus Sicht des Netzwerks, dass der Transferprozess nach Ausspra­che der Empfehlungen des Innovationsausschusses nicht systematisch fortgeführt wird.

Heute ist es ja so, dass der Innovationsschuss verschiedene Akteure des Gesundheitswesens darum bittet, eine Übernahme der Projektergebnisse in die Regelversorgung zu prüfen. Nur zu einem sehr geringen Anteil gibt es zugängliche Informationen über die Rückmeldungen dieser Akteure.

Insofern ist überhaupt nicht klar, wie es mit dem Transfer der Ergebnisse in die Regelversorgung weitergeht und nicht selten verläuft der Transfer dann einfach im Sande. Die WiZen-Studie ist hier nur eines von vielen Beispielen.

Um das aus meiner Sicht sehr hohe Potenzial des Innovationsfonds für eine Verbesserung der Versorgung besser als bisher zu heben, benötigen wir einen grundsätzlichen Weg für den Transfer und die Förderung einer Implementierungs- beziehungsweise Transferphase erfolgreicher Projekte.

Ebenso sollten spätestens im Vollantrag bereits Überlegungen zum Transfer und zur Implementierung for­mu­liert werden. Im Ergebnisbericht sollte dann eine Transferbewertung vorgenommen werden. Dabei sollten der G-BA und der Innovationsausschuss die Initiative zur Übertragung von Projekten in die Regelversorgung aktiver als bisher koordinieren dürfen. © fos/aerzteblatt.de

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/153346/Noch-immer-findet-sehr-viel-Gelegenheitsversorgung-von-Krebspatienten-statt

Weitere Informationen: 

https://www.uniklinikum-dresden.de/de/das-klinikum/universitaetscentren/zegv/projekte/projektbeschreibung/wizen