16. Juni 2014: Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie bündelt Therapie von Patienten mit Tics und Zwangsstörungen
Nach Eröffnung einer deutschlandweit einmaligen Spezialstation zur Behandlung von Tic- und Zwangsstörungen im Juni vergangenen Jahres verbessert die Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden das Therapieangebot für diese Patienten noch weiter: Dank des neu etablierten Zentrums werden die ambulanten und stationären Behandlungen nun direkt verzahnt. Damit können die Patienten das mehrere Versorgungsformen umfassende Therapieprogramm der Klinik ohne zeitliche Verzögerungen und ohne Wechsel ihres Therapeuten durchlaufen. Die Strukturen des Zentrums stellen sicher, dass die Therapeuten je zur Hälfte ihrer Arbeitszeit in der Ambulanz und auf der Spezialstation tätig sind. Seit der Eröffnung der Spezialstation im Juni 2013 hat die Klinik insgesamt bereits über 200 Kinder versorgt, bei denen der Verdacht oder der Befund einer Tic- beziehungsweise Zwangsstörung vorlagen. Um das Behandlungskonzept niedergelassenen Therapeuten, aber auch den Eltern der Patienten vorzustellen, veranstaltet die Klinik am Mittwoch, dem 18. Juni, ab 15 Uhr, eine Informationsveranstaltung.
„Gerade bei Zwangserkrankungen werden viele Familien bereits in einem frühen Stadium unbewusst zum Komplizen des Patienten. Später dann kommen Schamgefühle dazu. Dies alles verhindert oft, dass sich die Eltern frühzeitig um Hilfe bemühen. Leider tragen sie so dazu bei, dass das psychische Leiden ihres Kindes chronisch wird und sich damit schwieriger behandeln lässt“, sagt Prof. Veit Rößner. Tatsächlich lassen sich Zwangserkrankungen von Kindern in einem frühen Stadium nicht leicht erkennen. „Bis zur Einschulung kann es ganz normal sein, dass Kinder auf bestimmten Ritualen bestehen. Oft verschwinden diese so schnell wie sie kommen“, so der Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie weiter. Wenn sich aber die ganze Familie den Bedürfnissen des Kindes unterordnen muss, ist das ein Warnzeichen. Typische Zwänge drehen sich um die Körperhygiene, um das Essen oder die Ordnung. Als Beispiele nennt Oberärztin Dr. Jessika Weiß zum Beispiel eine bestimmte Reihenfolge, in der die Familie ihre Wohnung verlassen muss oder zwanghaftes Waschen der Hände beziehungsweise anderer Körperteile, wodurch die Betroffenen das Badezimmer regelmäßig blockieren.
Erste Behandlungsschritte erfolgen in der Regel ambulant, wobei es anfangs um die Diagnose geht. Angesichts des großen Mangels an Kinder- und Jugendpsychiatern bietet die von Prof. Veit Rößner geleitete Klinik Spezialsprechstunden für Kinder und Jugendliche an, in denen der Verdacht von Zwangs- und Tic-Störungen abgeklärt werden kann. „Die Eltern sind von Anfang an eng in die Therapie eingebunden, damit das in der Klinik erarbeitete auch zu Hause umgesetzt wird“, sagt Dr. Weiß. Nicht in allen Fällen sind ambulante Therapien langfristig erfolgreich: Die Zwänge können mit so großen Angstgefühlen verbunden sein, dass nur eine stationäre Behandlung dem psychischen Leiden Einhalt gebieten kann. „Die Patienten müssen lernen, die Angst auszuhalten. Dabei erfahren sie, dass die von ihnen befürchteten Folgen ausbleiben“, erklärt die Oberärztin ein wichtiges Ziel der stationären Therapie.
Mit den neu etablierten Zentrumsstrukturen fällt der Wechsel auf die Station für die Patienten weniger abrupt aus: Sie behalten ihren Therapeuten als Bezugsperson. Diese Kontinuität schafft nicht nur eine gewisse Vertrautheit sondern erhöht die Wirksamkeit der Therapie. Dies gilt auch für die Zeit nach dem Klinikaufenthalt, dem in der Regel eine ambulante Betreuung folgt. Die Abfolge ambulant, stationär, ambulant ist auch eine Option bei der Behandlung von Patienten, die an einer Tic- oder Tourette-Störung leiden.
Tics und Tourette-Syndrom machen Betroffene zu Außenseitern
Für die Patienten ist es kein Trost zu wissen, dass Wolfgang Mozart ein Leidensgenosse war – über 100 Jahre bevor das Krankheitsbild wissenschaftlich von dem französischen Neurologen Gilles de Tourette erstmals wissenschaftlich beschrieben wurde. Denn die Kombination aus abrupten, willkürlichen sowie unkontrollierbaren Körperbewegungen und Lautäußerungen irritieren viele Mit-menschen. Bei einigen steht sogar die Frage, ob sie eine reguläre Schule besuchen können. Doch die Betroffenen sind weder geistig noch körperlich behindert. Obwohl reine Tic-Störungen – also ausschließlich unwillkürliche Bewegungen – vom zuckenden Augenlid bis zum heftigen Ausschlagen der Arme oder Beine – relativ häufig vorkommen, gibt es in Deutschland nur wenige auf diese Probleme spezialisierte Ärzte. Einer davon ist Prof. Veit Rößner, der viele Patienten selbst behandelt und zudem bundesweit für ärztliche Zweitmeinungen hinzugezogen wird. Der Klinikdirektor erforscht zudem die Ursachen der Erkrankung, entwickelt und untersucht innovative psychotherapeutische Therapieformen. Auch beteiligt sich die Klinik an Studien zu neuen Medikamenten.
Das neue Zentrum bietet speziell für Patienten mit Tic-Störungen das psychotherapeutische Verfahren „Habit-Reversal-Training“ und für Patienten mit Zwangsstörung das psychotherapeutische Verfahren „Expositionstraining mit Reaktionsverhinderung“ an. Zusätzlich finden Gruppen zu sozialem Kompetenztraining statt, um die Kinder und Jugendlichen in ihrem Selbstwert zu stärken und ihnen zum Beispiel zu ermöglichen, trotz der Tics Gleichaltrige anzusprechen und Selbstzweifel zu überwinden. Ergo- und physiotherapeutische Angebote sowie der Besuch der Klinikschule komplettieren das Angebot der Station.
Die Informationsveranstaltung findet statt am Mittwoch, dem 18. Juni, um 15 Uhr, im Hörsaal des Instituts für Pathologie des Dresdner Uniklinikums, Schubertstraße 23 (Haus 43), 01307 Dresden.
Kontakt
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie
Direktor: Prof. Dr. med. Veit Rößner
Tel. 0351 458-22 44
E-Mail: kjpchefsekretariat@uniklinikum-dresden.de
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