„Der Anzug muss sitzen“ – NCT/UCC Dresden entwickelt individualisierte Krebstherapien
Die Krankheit Krebs ist so individuell wie die Menschen, die daran erkranken. „Die Krebsmedizin der Zukunft gleicht daher einem Maßanzug, der für jeden Patienten mit höchster Präzision individuell angepasst wird. Denn die enorme Vielfalt von Krebserkrankungen sorgt dafür, dass ein Therapie-Anzug von der Stange bei keinem Patienten exakt sitzt“, sagt Prof. Mechthild Krause. Die Geschäftsführende Direktorin am NCT/UCC Dresden und Direktorin der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie des Universitätsklinikums Dresden ist eine der Referentinnen zum Thema personalisierte Onkologie beim 1. Deutschen Krebsforschungskongress, bei dem Vertreter des NCT/UCC am 4. und 5. Februar mit zahlreichen führenden Wissenschaftlern zu den neuesten Forschungsansätzen diskutieren.
Basis der personalisierten Krebstherapie sind unter anderem neue diagnostische Methoden wie die molekular-genetische Untersuchung von Tumorgewebe oder Blut. „Wir suchen nach Veränderungen, die Ursache für die Entstehung, das Wachstum oder die Metastasierung von Tumoren sind. Sie sind eine wichtige Grundlage – eine Art Schnittmuster – für die maßgeschneiderte Behandlung. Denn im Idealfall lässt sich die Tumorzelle genau an dieser veränderten Stelle mit zielgerichteten Therapien angreifen“, erklärt Prof. Hanno Glimm, Geschäfts-führender Direktor am NCT/UCC Dresden und Leiter der Abteilung Translationale Medizinische Onkologie.
Personalisierte Immuntherapien bedeuten wichtigen Fortschritt
Am NCT/UCC Dresden nutzen Ärzte und Wissenschaftler spezifische biologische Merkmale von Tumoren beispielsweise dazu, um das Immunsystem passgenau gegen die Krebserkrankung in Stellung zu bringen. So können hier seit Mitte letzten Jahres Patienten des Universitätsklinikums Dresden mit der innovativen CAR-T-Zell-Therapie behandelt werden. Die bis-lang bundesweit nur an wenigen Zentren verfügbare Immuntherapie bietet Hoffnung für Patienten mit aggressivem Lymphdrüsenkrebs und bestimmten Formen des Blutkrebses, deren Tumorzellen ein ganz bestimmtes Oberflächenmerkmal namens CD19 tragen. Körpereigene Immunzellen, gegen die sich Tumoren meist sehr erfolgreich tarnen, werden hierzu im Labor mit einem künstlichen Molekül versehen, das wie ein Navigationssystem zu dem spezifischen Oberflächenmerkmal leitet. Das Immunsystem wird so in die Lage versetzt, die Tumorzellen zu erkennen und zu beseitigen. „Bei etwa 40 Prozent der Patienten, bei denen zuvor alle konventionellen Therapien versagten, verschwindet der Krebs langfristig. Das ist einer der größten Fortschritte der Krebsmedizin seit langem“, sagt Dr. Martin Wermke, Leiter der Early Clinical Trial Unit am NCT/UCC Dresden.
Dresdner Wissenschaftler treiben diese therapeutische Innovation mit voran: So entwickeln Forscher um Prof. Michael Bachmann, Direktor des Instituts für Radiopharmazeutische Krebsforschung am HZDR und Prof. Gerhard Ehninger, ehemals Direktor der Medizinischen Klinik I am Universitätsklinikum Dresden, neben bispezifischen Antikörpern eine spezielle CAR-T-Zell-Therapie, bei der sich die Aktivität der veränderten Immunzellen an- und aus-schalten und gegen verschiedene Oberflächenmerkmale richten lässt. „Unseren Patienten am Universitätsklinikum können wir ein außergewöhnlich breites Spektrum von personalisierten Immuntherapien anbieten. Im Rahmen von Studien kommen ab April weitere Therapien mit T-Zell-Rezeptor-modifizierten T-Zellen, bispezifischen Antikörpern sowie tumorinfiltrierenden Lymphozyten hinzu“, sagt Dr. Wermke. „Mit den jetzt beginnenden Studien stellt die Dresdner Hochschulmedizin ihre Stärke als einer der führenden Standorte für translationale Forschung in der Krebsmedizin unter Beweis. Das intensive und sehr kollegiale Miteinander von Ärzten und Wissenschaftlern ist eine unserer Kernkompetenzen, die ein Schlüssel für die erfolgreiche Überführung von Grundlagenforschung in die Krankenversorgung ist“, betont Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Dresdner Uniklinikums.
Zielgerichtete Medikamente können aber auch ohne Aktivierung des Immunsystems auf Prozesse der Krebsentwicklung einwirken. Sie verhindern beispielsweise, dass Wachstums- und Vermehrungssignale in der Tumorzelle ankommen oder sich Blutgefäße bilden, die die Tumorzelle mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgen. Prof. Christian Thomas, neu berufener Direktor der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Dresden forscht etwa an einem Protein, das normalerweise für die Regulierung von Zellteilung und Zellwachstum zuständig ist. Beim Prostatakarzinom wird angenommen, dass sich der Tumor die Eigenschaften dieses „Stat5“-Proteins zunutze macht und durch deren vermehrte Bildung das eigene Wachstum anregt. Die Höhe des Anteils vom „Stat5“-Protein im Prostatagewebe des Krebspatienten gibt dem Arzt einen Hinweis auf die Aggressivität und das fortgeschrittene Stadium des Prostatakarzinoms. In mehreren experimentellen therapeutischen Studien konnte der Wissenschaftler darüber hinaus aufzeigen, dass sich „Stat5“ durch molekularbiologisch wirkende Medikamente zielgerichtet ausschalten und das Tumorwachstum damit verlangsamen lässt.
Weniger Nebenwirkungen durch individualisierte Behandlung
Maßgeschneiderte Therapieansätze spielen auch bei der Reduktion von Nebenwirkungen eine wichtige Rolle. So untersuchen Ärzte und Forscher des NCT/UCC Dresden und des NCT Heidelberg in einer aktuellen Studie, ob sich Tumoren des Mund-Rachen-Bereiches, die durch humane Papillomviren (HPV) hervorgerufen wurden, mit einer verringerten Strahlendosis genauso wirksam behandeln lassen, wie mit der bislang standardmäßig verabreichten Strahlenmenge. „Wir senken die Strahlendosis in einem engmaschig überwachten, zweistufigen Verfahren ab, das höchstmögliche Sicherheit für die Patienten garantiert. So hoffen wir, langfristige gravierende Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Schluckbeschwerden und Störungen des Geruchs- und Geschmackssinns deutlich reduzieren zu können“, erklärt Studienleiterin Prof. Mechthild Krause.
Auch in der Krebschirurgie sind immer präzisere, nebenwirkungsärmere Eingriffe möglich. Wissenschaftler und Ärzte am NCT/UCC Dresden entwickeln computergestützte Assistenzsysteme, die den Chirurgen ausgehend von den individuellen Patientendaten beim Planen und Ausführen operativer Eingriffe unterstützen sollen. „Wir bieten dem Chirurgen intelligente Hilfen für seine Arbeit an – ähnlich wie ein Navigationssystem im Auto. Während einer Operation sollen die Systeme beispielsweise in Echtzeit die optimale Schnittführung oder Risikostrukturen anzeigen“, erklärt Prof. Stefanie Speidel, Leiterin der Abteilung für Translationale Chirurgische Onkologie. „Voraussetzung für die Entwicklung solcher Assistenzsysteme sind vernetzte Operationssäle, wie sie aktuell im Dresdner NCT-Neubau, aber auch im neuen Chirurgischen Zentrum des Uniklinikums (Haus 32) entstehen. Hier sind eine Vielzahl an Daten verknüpft – zum Beispiel Planungsdaten, während der Operation erzeugte Bilder oder Informationen über den Patienten und aktuelle Vorgänge im OP“, sagt Prof. Jürgen Weitz, Geschäftsführender Direktor am NCT/UCC Dresden und Direktor der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie.
Die personalisierte Krebstherapie, die heute vielfach noch in der Entwicklung ist, wird sich in den kommenden Jahren immer mehr durchsetzen. Besonders konsequent werden ihre Möglichkeiten aktuell bereits im NCT-MASTER-Programm ausgelotet und umgesetzt. Junge Krebspatienten und Patienten mit sehr seltenen Krebserkrankungen haben im Rahmen des Programms die Möglichkeit, das Erbgut ihres Tumors umfangreich analysieren zu lassen. Auf dieser Basis suchen fächerübergreifende spezialisierte Expertengremien – so genannte molekulare Tumorboards – anschließend nach einer maßgeschneiderten Therapie. „Bei vielen Patienten können wir hierdurch bemerkenswerte Erfolge erzielen“, sagt Prof. Hanno Glimm. Bislang wurden rund 1.300 Patienten der NCT-Standorte Heidelberg und Dresden sowie der Standorte des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) in das Programm einbezogen. „Personalisierte Therapie muss nicht bedeuten, dass für jeden Patienten ein neues Medikament entwickelt wird. Vielmehr wird die Behandlung individuell auf die Biologie des jeweiligen Tumors angepasst. Um dies zu ermöglichen, ist es unser langfristiges Ziel, die detaillierte genetische Diagnostik in die normale Krebsversorgung einzubetten“, so Glimm.
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Holger Ostermeyer
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