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Simulationspuppen klären Eltern über Schütteltrauma aufMithilfe der Simulationspuppen demonstriert Sozialpädagogin Jacqueline Zinn am Uniklinikum Dresden, welche schwerwiegenden Schäden schon leichtes Schütteln im Gehirn eines Baby verursachen kann. Foto: UKD/Michael Kretzschmar
09. Januar 2025

Simulationspuppen klären Eltern über Schütteltrauma auf

Schon kurzes Schütteln eines Säuglings kann irreversible Schäden an dessen Gehirn hinterlassen. | Mittels Schüttelpuppen werden Mütter und Väter seit einem Jahr in Elternkursen über die Folgen aufgeklärt. | FamilieNetz des Uniklinikums unterstützt Eltern von krank oder zu früh Geborenen bei Stressbewältigung.

In Deutschland werden jedes Jahr bis zu 200 Kinder aufgrund eines Schütteltraumas in einer Klinik behandelt. Betroffen sind schätzungsweise doppelt so viele Babys und Kleinkinder. Zwischen zehn und 30 Prozent davon überleben die dabei entstandenen Hirnverletzungen nicht. Das Perinatalzentrum des Universitäts-Kinder-Frauenzentrums am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden demonstriert in Elternkursen mit einer Simulationspuppe die lebensbedrohlichen Folgen des heftigen Schüttelns von Neugeborenen anschaulich. Dank der Unterstützung durch die Dresdner Altmarkt-Galerie kommt nun eine zweite Puppe dazu, die an diesem Donnerstag (9. Januar 2025) am Uniklinikum übergeben wurde. Davon profitieren nicht nur Eltern von krank oder zu früh geborenen Babys, die am Uniklinikum durch das FamilieNetz begleitet und so unter anderem auf die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt vorbereitet werden. Damit Eltern lernen, mit Stresssituationen umzugehen, werden sie am Uniklinikum vom FamilieNetz mithilfe der Schüttelpuppen geschult.

„Ein Schütteltrauma kann zu schweren Hirnverletzungen, bleibenden Schäden oder sogar zum Tod führen“, erklärt Prof. Uwe Platzbecker, Medizinischer Vorstand des Dresdner Uniklinikums. Während die medizinische Versorgung von extrem früh oder krank geborenen Babys in hochspezialisierten Zentren heute sichergestellt ist, müsse der Fokus noch stärker auf den Alltag der Eltern mit ihrem Neugeborenen gerichtet werden. „Dabei nimmt das Projekt FamilieNetz, das zum Ziel hat, eine sichere Eltern-Kind-Bindung auch bei intensivmedizinisch versorgten Säuglingen aufzubauen, eine Vorreiterrolle ein. Die Simulationspuppen sind in diesem Rahmen ein praxisnahes Mittel, das den Eltern zeigt, wie sie auch in Stresssituationen richtig agieren.“ 

Diplom-Psychologin Josephin Jahnke betont, dass weder Mütter noch Väter dem eigenen Baby schaden wollen. „Und doch passiert es immer wieder“, sagt die Leiterin des FamilieNetzes, einem Versorgungsbereich, der in der Universitäts-Kinderklinik insbesondere für die psychosoziale und spezielle pflegerische Begleitung von Familien zu früh oder krank Neugeborener zuständig ist. Dabei bereitet sie die Familien auch auf die Grenzsituation vor, wenn sich ein Kind über eine lange Zeit nicht beruhigen lässt und 20 Minuten oder in extremen Fällen sogar mehr als eine Stunde durchgehend schreit. In solchen Fällen die Nerven zu verlieren, ist nichts Außergewöhnliches: „Das kann jedem so ergehen“, sagt Josephin Jahnke. „Wir schätzen, dass in Deutschland jedes Jahr bis zu 200 Kinder aufgrund eines Schütteltraumas in eine Klinik gebracht werden. Zwischen zehn und 30 Prozent davon überleben die dabei entstandenen Hirnverletzungen nicht“, sagt Dr. Monica Pleul von der Klinik für Kinderchirurgie, die zugleich zur Leitung der Kinderschutzgruppe am Universitätsklinikum gehört. Das macht das Schütteltrauma zur häufigsten syndromalen Sonderform des nicht akzidentellen Schädel-Hirn-Traumas im Säuglings- und Kleinkindesalter. „Allein im Uniklinikum Dresden wurden in den vergangenen fünf Jahren 17 Kinder mit dem Shaken-Baby-Syndrom, wie es in der Fachsprache genannt wird, diagnostiziert“, sagt Jacqueline Zinn, Sozialpädagogin in der Kinderschutzgruppe. 50 bis 70 Prozent der Babys, die mit Schütteltrauma in Kliniken gebracht werden, erleiden schwerste bleibende körperliche und geistige Beeinträchtigungen. Das sind Krampfanfälle, Erblindungen, Sprachstörungen, Lernschwierigkeiten oder Entwicklungsverzögerungen. Lediglich zehn bis 20 Prozent der Säuglinge überleben ein Schütteltrauma ohne bleibende Schäden.

Beim Schütteln schleudert der Kopf unkontrolliert hin und her. Denn der Säugling kann – wegen seiner schwachen Nackenmuskulatur – den Kopf noch nicht allein halten. Die gewaltsamen Bewegungen führen dazu, dass das Gehirn im Schädel hin- und hergeworfen wird. Dabei können Nervenbahnen und Blutgefäße reißen. Rein äußerlich sind diese Verletzungen oft nicht sichtbar. Die akut auftretenden Symptome könnten auch andere Ursachen haben. Typische Anzeichen sind Blässe, Reizbarkeit, Apathie, Erbrechen, Krampfanfälle oder Atemstillstand.

Simulationspuppe zeigt Schäden am Gehirn
Um den Eltern die schweren Folgen dieser Überforderungshandlung im wahrsten Sinne „begreifbar“ zu machen, setzt das FamilieNetz die Schüttelpuppe in ihren Elternkursen ein. Eltern wird durch den durchsichtig gestalteten Kopf der Puppe veranschaulicht, welche Schäden das Gehirn selbst durch kurzzeitiges Schütteln erleiden kann. Auf diese Weise schulte das FamilieNetz im vergangenen Jahr präventiv rund 65 Mütter und Väter. Zusätzlich kommt die Puppe auch in der Personalschulung zum Einsatz, um für das Thema zu sensibilisieren und zu verdeutlichen, dass Folgen dieser Form der Kindesmisshandlung etwa nicht nur durch einen Sturz von der Wickelauflage allein erklärbar sind. Wird die Simulationspuppe durch Schütteln aktiviert, schreit sie wie ein echtes Kind. Zudem leuchten im transparenten Kopf der Puppe rote Warn-Lampen auf, die zeigen, dass die noch zarten Gefäße im Kopf des Kindes dadurch gerissen und in der Folge Hirnblutungen entstanden wären. Umfragen zeigen, dass rund zwei Drittel der deutschen Bevölkerung nicht bewusst ist, dass schon kurzes Schütteln tödliche Folgen haben kann.

Babys schreien in den ersten Lebenswochen besonders häufig
Im Mittel schreien Babys ab der 2. bis zur 6. Lebenswoche zwei Stunden am Tag. Dies reduziert sich danach schrittweise und sinkt nach der 12. Lebenswoche auf durchschnittlich weniger als eine Stunde täglich. Gerade in den ersten Monaten scheinen viele Schreianfälle unvorhersehbar und lassen sich nicht nachvollziehen. In bis zu zehn Prozent dieser Anfälle ist das Baby untröstlich. Alle Versuche der Eltern, das Kind zu beruhigen, bleiben erfolglos. Dies kann bei den Eltern Gefühle der Hilflosigkeit, Frustration und Wut auslösen und schließlich zum Schütteln des Kindes im Affekt führen. Die noch immer verbreitete Ansicht, dass das Schreien in den ersten Lebensmonaten auf Probleme des Darmtrakts – sogenannte „Dreimonatskoliken“ – zurückzuführen sei, ist nach heutigen Erkenntnissen nicht mehr zutreffend. Vielmehr gehen die Expertinnen und Experten davon aus, dass das Schreien mit verschiedenen Reifungsprozessen zusammenhängt. In den ersten Lebensmonaten lernt der Säugling in einem Anpassungs- und Reifungsprozess Schlaf- und Wachzustände, Hunger und Sättigung zu regulieren. Insbesondere bei zu früh geborenen Babys können hier Verzögerungen auftreten, sodass die Eltern dieser Kinder häufiger und intensiver mit dem Problem konfrontiert werden.

Wann sich Eltern Hilfe suchen sollten
Liegt die tägliche Schreidauer über drei Wochen an mindestens drei Tagen der Woche bei mindestens drei Stunden, spricht man von exzessivem Schreien. Das betrifft zwischen fünf und 19 Prozent der Säuglinge. Babys schreien, weil sie ihre Bedürfnisse noch nicht anders ausdrücken können. Sie können erkrankt sein und schreien in der Folge der mit der Erkrankung verbundenen Schmerzen – hier ist unbedingt die kinderärztliche Untersuchung angezeigt. Schreien ist für sie aber auch der einzige Weg zu zeigen, dass ihnen etwas fehlt. „Trösten Sie Ihr Kind, wenn es schreit. So erlebt ihr Kind, dass sie für es da sind, und es kann Vertrauen aufbauen“, sagt Josephin Jahnke. Ursachen, weshalb Babys schreien, sind Müdigkeit oder Hunger, das Gefühl, dass es ihnen zu warm oder zu kalt ist, dass sie eine nasse oder volle Windel haben, sie eine zu laute Umgebung stört oder ihnen gerade körperliche Nähe vor allem zu Mutter oder Vater fehlt oder aber auch zu viel wird. „Wichtig zu wissen ist, dass Babys niemals schreien, um ihre Eltern oder andere Menschen zu ärgern. Zu so einem absichtsvollen Handeln sind Babys noch gar nicht in der Lage“, betont die Diplom-Psychologin. „Im Zweifel sollten Eltern ihr Kind lieber sicher ablegen und kurz die Situation verlassen, um ihre Emotionen abkühlen zu lassen, bevor die Situation eskaliert und es zu einer Handlung kommt, deren Folgen lebensverändernd ausfallen können“, erklärt Josephin Jahnke. Sollten solche Situationen jedoch häufiger vorkommen, sei es wichtig zu wissen, an wen man sich hilfesuchend wenden kann. Hierfür stehen die kinderärztlichen Praxen, die sogenannten Schreiambulanzen oder die Familien- und Erziehungsberatungsstellen zur Verfügung. Das Amt für Gesundheit und Prävention, Sachgebiet Frühe Gesundheitshilfen, unterhält die (Schrei-)Babysprechstunde, die an diesem Donnerstag (9. Januar 2025) ebenfalls eine Schüttelpuppe von der Altmarkt-Galerie bekommen hat und diese künftig in der Präventionsarbeit einsetzen wird. Die Kosten von knapp 4.000 Euro pro Puppe übernimmt die Altmarkt-Galerie Dresden komplett. Am Universitätsklinikum sind für betroffene Familien beispielsweise das FamilieNetz in der Nachsorge und das Sozialpädiatrische Zentrum der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin oder die Mutter-Kind-Ambulanz der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik zuständig.

Weiterführende Informationen
Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung informiert auf seinen Internetseiten weiterführend über die Ursachen des Baby-Schreiens, gibt Tipps für einfache Hilfen und bietet Unterstützung bei der Suche nach wohnortnahen Schreiambulanzen an:

Kontakt für Eltern
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
FamilieNetz in der Nachsorge
Tel.: 0351 458 10421
E-Mail:
www.ukdd.de/kik/familienetz

Kontakt für Medienschaffende
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Universitäts Kinder-Frauenzentrum
Kinderklinik, FamilieNetz
Leiter: Dipl.-Psych. Josephin Jahnke
Tel.: 0351 458 19635
E-Mail:
www.ukdd.de/kik