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Stammzellen – Spitzenforschung kommt beim Patienten an

In der letzten Juniwoche haben die Stammzellen es seit langem wieder einmal in die Schlagzeilen geschafft: Im Mittelpunkt stand der Disput zwischen Stammzellforschern aus Münster und Tübingen. Vor zwei Jahren hatten letztere der Öffentlichkeit erklärt, dass sie aus Hodengewebe Zellen generieren konnten, die nahezu identische Eigenschaften aufwiesen wie pluripotente embryonale Stammzellen. Nun zweifeln die Münsteraner Wissenschaftler diese Hauptaussage in der aktuellen Online-Ausgabe des führenden Wissenschaftsmagazins „nature“ direkt an. Dieser Disput – so hart er auch in der Sache sein mag – ist nicht mehr vergleichbar mit der prinzipiellen Debatte in den späten 1990er Jahren, als es Kritikern darum ging, die Forschung mit embryonalen Stammzellen grundsätzlich in Frage zu stellen.

ZellstrukturVielmehr ist der aktuelle Disput Teil des alltäglichen wissenschaftlichen Gesprächs geworden, wie es auch beim 3. Dresdner Stammzellkongress von 11. – 14. Juli im Internationalen Congress Center (ICC) gepflegt wird. Bei diesem Treff weltweit renommierter Forscher hat auch die breite Öffentlichkeit Gelegenheit einen Einblick in den aktuellen Wissenschaftsdiskurs zu erhalten: Die Organisatoren des Kongresses – der Sonderforschungsbereich 655, das DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien sowie (CRTD) und das Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik – laden am 12. Juli zu einer Informationsveranstaltung unter dem Titel „Stammzellen: Kleine Zellen, große Wirkung“ ein. Es referieren unter anderem Prof. Gerhard Ehninger und Ulrich Braun, beide von der Medizinischen Klinik I, über die aktuelle Stammzellforschung. Die Veranstaltung findet im Großen Saal des ICC statt. Beginn ist 19.30 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Ein wissenschaftlicher Disput wie der aktuelle zwischen dem Münsteraner Schöler und dem Tübinger Skutella ist nach den bewegten Anfangszeiten eher selten geworden. Damals schien es oftmals um nicht weniger zu gehen als um das Wohl und Wehe des Abendlandes: Bedeutet der Einsatz von embryonalen Stammzellen nun, sich für sagenhafte therapeutische Möglichkeiten zu öffnen oder aber wesentliche moralische Werte der Gesellschaft preiszugeben?

Die Schlagzeilen jener Tage spiegelten gleich mehrere gesellschaftliche Konfliktlinien wider. Folgerichtig fanden sie sich überwiegend in den Ressorts Politik und im Feuilleton. Die Meldungen der vergangenen Woche beschränkten sich dagegen auf die Wissenschaftsseiten. Konkret geht es um einen Disput zwischen den Stammzellforschern um Prof. Dr. Hans Schöler vom Münsteraner Max-Planck-Institut und der Gruppe um den Direktor des Tübinger Zentrums für regenerative Medizin (ZRM) Prof. Dr. Thomas Skutella. Im November 2008 hatte die Gruppe um Skutella mit einer Veröffentlichung im Magazine nature für Aufsehen gesorgt. Man habe, hieß es darin, aus Hodengewebe Zellen generieren können, die nahezu identische Eigenschaften aufwiesen wie pluripotente embryonale Stammzellen. Nachdem Hans Schöler bereits Mitte 2009 Fragen an diese Veröffentlichung geäußert hat, zweifelt er deren Hauptaussage nun in der aktuellen Online-Ausgabe von nature direkt an. (Quelle: http://www.nature.com/nature/journal/v465/n7301/full/nature09089.html)

So heftig die Auseinandersetzung im Detail geführt werden mag, sie zeigt vor allem eines: Stammzellen sind nach ihren stürmischen Anfangszeiten auch in Deutschland im wissenschaftlichen Alltag angekommen. Was wir jetzt erleben, ist die normale wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Verlässlichkeit der Experimente, Qualität der Daten und die Korrektheit ihrer Interpretation.
Freilich klingt im aktuellen Streit so etwas wie ein Echo der Debatten früherer Jahre mit. Die Tübinger beanspruchen nämlich, einen nahezu gleichwertigen Ersatz für die so heftig umstrittenen humanen embryonalen Stammzellen geschaffen zu haben. Ihr als „Durchbruch“ tituliertes Ergebnis enthält nämlich weniger fundamentale neue Einsichten in die Funktionsweise von embryonalen Stammzellen. Sie sollen vielmehr die Möglichkeit aufzeigen, Gewebe mit etwa denselben Eigenschaften wie sie eben jene embryonalen Stammzellen aufweisen zu erzeugen, ohne dabei den Problemen ausgesetzt zu sein, welche üblicherweise bei der Gewinnung embryonaler Stammzellen bestehen.

Zur Erinnerung: humane embryonale Stammzellen (HES) finden sich in so genannten Vor- oder Frühembryonen bereits vor der Einnistung in die Gebärmutter. Bei der Gewinnung jener Zellen geht der Embryo zugrunde. Ob das akzeptabel ist oder bereits als Tötung eines Trägers von Grundrechten angesehen werden muss, ist wesentlicher Inhalt des ethischen Disputs. So genannte adulte Stammzellen, wie sie sich in jedem menschlichen Organismus in bestimmter Zahl etwa im Knochenmark oder in der Leber finden, seien kein angemessener Ersatz für jene HES, führten Forscher stets an, wenn es um ein mögliches Verbot der Forschung an HES ging. Die Tübinger Veröffentlichung nährte nun die Hoffnung, man könne die Forschung an HES-identischen Geweben ohne die damit vermeintlich oder tatsächlich verbundenen moralischen Probleme haben. Daran haben nun Hans Schöler und seine Forscher berechtigte Zweifel angemeldet.

Gleichwohl: es handelt sich um eine normale wissenschaftliche Kontroverse. Weder geht es um einen Betrugsvorwurf wie in dem spektakulären Fall des südkoreanischen Forschers Wang Woo Suk, der absichtlich Forschungsergebnisse fälschte, noch geht es um pathetische Debatten eines moralischen Entweder-Oder. Die Münsteraner merken lediglich an, dass sie die Ergebnisse der Tübinger bislang nicht haben reproduzieren können, und beklagen, dass sie bis dato keine Proben der Tübinger Zellen zur eigenen Überprüfung bekommen haben.

Damit ist der Disput Teil des alltäglichen wissenschaftlichen Gesprächs, wie es auch beim 3. Dresdner Stammzellkongress von 11.-14. Juli gepflegt wird. Schöler und Skutella streiten um ein Thema der Grundlagenforschung. Ist es gelungen, einen gleichwertigen Ersatz für HES hervorzubringen oder nicht? Vor der wissenschaftlichen Öffentlichkeit wird nun die Überzeugungskraft der Beweise zählen.

Neben den Fragen der Grundlagenforschung haben sich in den vergangenen Jahren vielerlei Gebiete der klinischen Forschung und Anwendung etabliert. Besonders die Therapien mit Blutstammzellen bei Leukämie- und leukämieverwandten Erkrankungen sind Teil des wissenschaftlichen Austauschs. Zuletzt haben Ergebnisse bei einem Leukämie-Patienten für Aufsehen gesorgt, der zugleich Träger des HI-Virus und bereits an AIDS erkrankt war. Bei jenem Patienten hatte die Transplantation von gespendeten Blutstammzellen nicht nur für ein Verschwinden des Blutkrebses gesorgt, sondern offenbar auch das Fortschreiten der AIDS-Erkrankung zumindest zeitweise anhalten können. (Quelle: http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/zukunftsmedizin/news/stammzellen-knochenmark-gegen-hiv_aid_348279.html)

Ob sich aus solcherlei Einzelergebnissen wissenschaftliche Schlussfolgerungen ableiten lassen und diese dann zu neuen therapeutischen Möglichkeiten führen werden, wird die Zukunft zeigen. Ein Teil dieser Zukunft wird auf dem 3. Dresdner Stammzellkongress wesentlich mit beeinflusst.

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