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Von der Zelltransplantation zum Bio-Reaktor

Die Vision einer optimalen Versorgung von Diabetespatienten hat das Format einer mittelgroßen Dose für Handcreme: „Bio-Reaktor“ nennen die Professoren Stefan Bornstein und Michele Solimena den flachen, runden Behälter, der künftig im Körper von Typ-1-Diabetikern die Insulinproduktion übernehmen soll. Dieses den Blutzuckerspiegel senkende Hormon braucht dann nicht mehr als Medikament mit einer Spritze oder Pumpe in den Blutkreislauf gebracht zu werden, wie es seit Jahrzehnten Standard bei der Versorgung von Diabetikern ist.

Prof. Michele Solimena, Direktor des Paul Langerhans Instituts Dresden Dr. Barbara Ludwig, Medizinische Klinik III (v. l. n. r.)Was die Ärzte und Wissenschaftler des Paul Langerhans Instituts Dresden (PLID) – einer von fünf Partnerstandorten des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung – derzeit entwickeln und an Schweinen bereits erfolgreich testen konnten, stößt die Tür zu einer völlig neuen Therapieform auf: Der von einem israelischen Unternehmen entwickelte Bio-Reaktor beherbergt die auch Inselzellen genannten Langerhans´schen Inseln, die das lebenswichtige Insulin produzieren. Dank einer speziellen Teflonmembran erreichen körpereigene Nährstoffe diese Zellen. In der Gegenrichtung wird das darin gebildete Insulin in den Körper geschwemmt. Von außen benötigt der Bio-Reaktor lediglich Sauerstoff, der über einen Port zugeführt wird.

Mit dieser neuen Therapieoption begegnen die Dresdner Diabetesforscher und -ärzte den Herausforderungen, die Folge langjähriger Behandlung von Typ-1-Diabetes-Patienten sind: Weil im Laufe der Erkrankung die Produktion körpereigenen Insulins vollständig versiegt, leiden einige dieser Patienten trotz kontinuierlicher Insulingabe und optimaler Behandlung unter einem extrem schwankenden Blutzuckerspiegel. Unvorhersehbare Ohnmachtsanfälle, die viele Betroffene regelmäßig in gefährliche Situationen bringen und das Ende jeder Berufstätigkeit bedeuten können, sind die Konsequenz. Abhilfe schaffen derzeit nur die Transplantation einer Bauchspeicheldrüse oder die Übertragung menschlicher Langerhans‘scher Inseln.

Das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus ist derzeit die einzige Einrichtung in Deutschland, die Inselzellen transplantiert. Dem dazu vom Internisten und Diabetologen Stefan Bornstein, Professor Hans-Detlev Saeger, Leiter der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, sowie Michele Solimena ins Leben gerufenen Team ist es 2008 erstmals gelungen, Inselzellen aus einer Bauchspeicheldrüse im Labor zu isolieren, sie aufzubereiten und zu transplantieren. Um diese bisher nur selten angewandte Behandlung erfolgreich vornehmen zu können, arbeiten Chirurgen, Grundlagenforscher und Internisten eng zusammen.

Für Michele Solimena, Professor für molekulare Diabetologie und Leiter des Paul Langerhans Instituts Dresden, ist das Transplantationszentrum ein Beleg für die an Universitätsklinikum und Medizinischer Fakultät sehr gut funktionierende Interaktion zwischen Grundlagenforschung und Krankenversorgung. Das Wissen um die Prozesse auf molekularer Ebene trägt dazu bei, die Ausbeute transplantierbarer Zellinseln deutlich zu erhöhen. Wesentliche Voraussetzung ist auch ein Speziallabor, das den strengen Anforderungen der „Good Manufacturing Practice“ entspricht, sowie ein zertifiziertes Herstellungsregime. Die Aufbereitung der Insulin produzierenden Zellen liegt in den Händen von Doktor Barbara Ludwig: Das Know-how dafür hat sich die Internistin während eines mehrjährigen USA-Aufenthalts angeeignet. Obwohl Barbara Ludwig hauptsächlich Patienten behandelt, ist sie an Forschungsvorhaben des PLID beteiligt. So an der Weiterentwicklung des Bio-Reaktors und den ersten damit absolvierten Tests.

Der neue Reaktor könnte langfristig eine dritte Option neben der Transplantation von Bauchspeicheldrüsen oder Inselzellen sein. Denn voraussichtlich verringert die Therapie mit eingekapselten Inselzellen die Belastungen der Patienten deutlich: Mit ihr würde die lebenslange Medikamentengabe gegen Abstoßungsreaktionen entfallen, die bei der Übertragung des ganzen Organs ebenso notwendig ist wie bei der Transplantation von Inselzellen. Für den Reaktor sprechen auch die Grenzen der bisherigen Behandlungsoptionen. So gewährleisten Inseltransplantate in der Regel keine dauerhafte Insulinunabhängigkeit: Über die Jahre verlieren die Zellen häufig einen Teil ihrer Funktion. Ein weiteres Problem von Organ- und Inselzelltransplantationen ist zudem der Mangel an Spenderorganen.

Deshalb wollen die Wissenschaftler vom Dresdner Partnerstandort des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) tierische Zellinseln für den Einsatz der Bioreaktoren nutzen. Ein naheliegender Ansatz: Diabetespatienten erhalten bereits seit rund 90 Jahren von Schweinen und Rindern gewonnenes Insulin. Abgeschirmt durch die Membran könnten die tierischen Zellen kontinuierlich dieses Hormon bilden, ohne dass das Immunsystem der Patienten die fremden Zellinseln attackieren würde. Bevor sich jedoch aus diesem Konzept eine Therapieoption entwickelt, sind noch viele Fragen zu klären. Mit der geballten Expertise des Paul Langerhans Instituts Dresden und des Transplantationszentrums stehen die Chancen gut, dass der Schritt von der Grundlagenforschung in die Krankenversorgung gelingt und sich so neue Standards in der Therapie setzen lassen.

Die Auswahl des Instituts als DZD-Partnerstandort ist der Abschluss einer zehnjährigen Aufbauarbeit, die die Medizinische Fakultät und das Universitätsklinikum Ende der 1990er-Jahre auf den Weg brachten. Erster Meilenstein beim Aufbau der aktuellen Diabetesforschung an Klinikum und Fakultät war die Berufung von Michele Solimena. Als Träger des Wolfgang-Paul-Preises der Alexander von Humboldt-Stiftung wechselte der Arzt und Grundlagenforscher von der US-amerikanischen Elite-Universität Yale nach Dresden. Hier baute er umgehend ein Forscherteam auf und knüpfte Kontakte zu den klinisch tätigen Wissenschaftlern wie dem Viszeralchirurgen Professor Hans-Detlev Saeger, der so auch zu einem wichtigen Partner bei der Transplantation der Inselzellen wurde.

In Michele Solimenas wissenschaftlicher Arbeit stehen Rolle und Funktion der Insulin produzierenden Betazellen im Mittelpunkt. Er erforscht die Mechanismen, die zur Regulierung aber auch Zerstörung der Insulinproduktion führen. Ziel ist dabei, Möglichkeiten einer medikamentösen Therapie gegen das Entstehen des Diabetes beider Typen zu entwickeln. Auch die Prozesse der Zellvermehrung sowie Methoden zur Isolierung und Transplantation von Betazellen stehen auf der Forschungsagenda des PLID. Mit der Berufung von Stefan Bornstein gelang es, einen Diabetologen für die Dresdner Hochschulmedizin zu gewinnen, der auch auf internistisch-klinischem Gebiet über Deutschland hinaus große Anerkennung genießt. Der Direktor der Medizinischen Klinik III konnte seit seiner Berufung zahlreiche Brücken zwischen Forschung und Krankenversorgung schlagen. „Mit der engen Verbindung von Diabetes-, und Nierenzentrum sowie des Universitäts GefäßCentrums verfügt unsere Klinik über ein einzigartiges Versorgungsangebot. Dies erlaubt uns eine umfassende Betreuung aller Diabetiker und ihrer Komplikationen auf höchstem medizinischem Niveau“, sagt Stefan Bornstein. Er nutzt seine internationalen Kontakte auch dazu, um für die Dresdner Diabetesexpertise zu werben und weitere Forscher und Kliniker zu rekrutieren. Zum Beispiel konnte 2009 über die neu eingerichtete Hans-Christian-Hagedorn- Stiftungsprofessur Professor Mathias Brendel berufen werden. Mit den von ihm vertretenen Schwerpunkten „Regenerative Therapien bei Diabetes mellitus“ und „Inselzelltransplantationen“ kann die Dresdner Hochschulmedizin das bestehende Exzellenz-Cluster Diabetologie in der Forschung und Krankenversorgung weiter stärken.

Das DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien (CRTD) spielt seit seiner Gründung eine wichtige Rolle in der Dresdner Diabetesforschung: Dies zeigt zum Beispiel die wissenschaftliche Arbeit von Ezio Bonifacio, Professor für Präklinische Stammzelltherapie am CRTD. Im Mittelpunkt von Bonifacios wissenschaftlicher Arbeit stehen die bei Diabetes-Typ-1-Patienten durch das Immunsystem zerstörten Betazellen. Er koordiniert eine weltweite Therapiestudie, in der die Betazellen bereits heute per Impfung vor dem Untergang geschützt werden können. Perspektivisch wollen die Dresdner Forscher Immunzellen aus Nabelschnurblut für einen noch weitergehenden Schutz nutzen. Zudem beschäftigt sich das Team von Ezio Bonifacio mit den Möglichkeiten, die Neubildung der Betazellen anzuregen. Neben der Erforschung von Ursachen und Therapieoptionen zu beiden Diabetesformen ist für die Dresdner Hochschulmedizin die Prävention dieser Stoffwechselerkrankung ein zentrales Thema. Auch für dieses Gebiet wurde erstmals in Europa ein Stiftungslehrstuhl an der Medizinischen Klinik III eingerichtet. Neben Entwicklung und Evaluation von Präventionsprogrammen beteiligt sich Professor Peter Schwarz an weltweiten Studien zu genetischen Faktoren des Diabetes mellitus, wozu in Dresden bereits 7.000 Menschen untersucht wurden. Ein weiteres Vorhaben ist die Etablierung von Technologien zur Identifizierung neuer Wirkstoffe für die Diabetestherapie: „Wir folgen der Vision, in Dresden Entwicklungen voranzutreiben, die weltweit einmalig sind. Damit legen wir den Grundstein für enorme Impulse für die Wirtschaft der Region“, erklärt Stefan Bornstein. Als Beispiel nennt er die Bio-Reaktoren, bei denen er die nun erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem israelischen Biotech- Unternehmen Beta O2 initiiert hat. Um diese Therapie weiterentwickeln und schließlich vielen Patienten anbieten zu können, müssten hochspezialisierte Unternehmen entstehen.

Weitere Informationen

Paul Langerhans Institut Dresden – Partnerstandort des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung
www.dzd-ev.de

Lokales Netzwerk (Auswahl):

  • Prof. Dr. med. Stefan Bornstein, Medizinische Klinik III
  • Prof. Dr. med. Michele Solimena, Paul Langerhans Institut Dresden
  • Prof. Dr. med. Ezio Bonifacio (CRTD)
  • Dr. rer. nat. Karsten Kretschmer (CRTD)
  • Dr. med. Barbara Ludwig, Medizinische Klinik III
  • Prof. Dr. med. Mathias Brendel, Medizinische Klinik III
  • Prof. Dr. med. Peter Schwarz, Medizinische Klinik III
  • Dr. rer. nat. Stephan Speier (CRTD)
  • PD Dr. med. Stephan Kersting (Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie)
  • Prof. Dr. med. Triantafyllos Chavakis, MK III und Institut für Physiologie

Forschungsprojekte (Auswahl)

  • Transplantation menschlicher Inselzellen
  • Molekulare Mechanismen und Systembiologie von Insulin-Granula
  • Identifizierung neuer Therapieziele zur Erhöhung der beta-Zellmasse und Insulinsekretion
  • Funktionelles beta-Zell-Imaging
  • Prävention und Immuntoleranz für Typ-1-Diabetes
  • Prävention, Genotypisierung und phänotypische Charakterisierung für Typ-2-Diabetes

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